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Ausland korrespondieren zu können, andererseits ist ihm durchaus bewusst, was
ihn von seinem Briefpartner unterscheidet: „Ich in m/Krämerleben kann mich
mit den Lebensansichten eines Geschäftsmannes wie Sie nicht vergleichen, m/
Gesichts- u. Wirkungskreis ist sehr beschrenkt, ich glaube indeß ich würde nicht
so glücklich u ruhig wie jetzt sein, wenn ich Ihre Dispositionen u Chancen selbst
in sehr verkleinertem Maßstab machen sollte; ich schätze zwar auch Schätze,
aber von jeher waren sie nicht mein Ideal; ich war mit meiner Lage zufrieden und
bat Gott nur Er möge es bis zu m/Ende so erhalten. Seltsam daß wir an Jahren
wie an Schicksal u. Gesinnung so verschieden, doch in solchem Briefwechsel und
Vertrauen gerathen sind zu mal bei der Entfernung. Sie haben mich indeß von
Anfang an so sehr für Sie eingenommen daß ich vorzugsweise genau mit Ihnen
meine Gedanken austausche, und da Sie mich gewissermaßen dazu auffordern
gerne meinen schwachen Rath mittheile.“
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Bahlmann ist bemüht, die Anfragen Schliemanns umgehend und „so gut zu be-
antworten als m/ Stellung u Kunde es gestatten ... Ich schreibe ungekünstelt wie
es mir ums Herz ist ohne Diplomatie. Bin kein Geschulter sondern Practiker denn
mein Vater brachte mich nicht zum Gymnasium sondern bei einem gewissenlo-
sen Privatlehrer. Wie ich unter Menschen kam merkte ich wo es überall fehlte“,
schreibt er angesichts seiner schwächelnden Rechtschreibung entschuldigend,
tritt aber in seinen meist mehrseitigen Briefen sehr selbstbewusst auf.
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Welche Rolle spielt nun der Kaufmann J. H. Bahlmann aus der mecklenburgi-
schen Kleinstadt Waren in dieser für Schliemann so bedeutenden Periode des
Aufstiegs zum Großkaufmann und der Suche nach einem Ausweg aus der Le-
benskrise? Kann uns der Inhalt der Briefe darüber etwas aussagen oder ist dieser
eher belanglos? Der Schliemannbiograph Ernst Meyer hat in seinen Briefediti-
onen nur einige dieser Briefe und dann auch nur auszugsweise veröffentlicht.
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Es ist bekannt, dass Meyer oft Schliemanns Ruf schädigende Passagen bewusst
weggelassen hat.
Nach Lesen des Briefwechsels lässt sich feststellen: Bahlmann war für Schlie-
mann während dieser Zeit ein wichtiger und einer seiner frühesten Korrespon-
denzpartner in seiner mecklenburgischen Heimat, neben seinem Vater, seinen
Schwestern und Verwandten in Kalkhorst. Erst viel später, im Jahre 1861, nahm
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Bahlmann, Brief vom 10. 11.1854, GL Serie B, Box 13, Folder 9; s. auch E. Meyer BW I, S. 65
(Zitat ausgelassen).
10
Bahlmann, Brief vom 5. 8.1856 (vgl. Anm. 7).
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Ernst Meyer veröffentlichte den Briefwechsel H. Schliemanns mit Bahlmann in Auswahl. In:
Heinrich Schliemann, Briefwechsel, 1. Band (1842-1875), Berlin 1953 (nachfolgend abgekürzt
Meyer BW I).