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Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
Bedauern und unfreiwillig von Genua getrennt habe, weil ich
dort gerne ein paar Wochen geblieben wäre. Der schönste Ha-
fen der Welt und voller Schiffe, von denen es mehr als tausend
gibt. Die Börse
ist so klein wie ein Ofen, aber es werden tolle
Angebote gemacht. Das Klima muss sehr gesund sein, da die
Apotheken sehr klein sind. Die Straßen und Wege sind sehr
eng, aber sehr sauber und Fußgänger werden durch die sehr
hohen Häuser, deren Dächer sich zu berühren scheinen, vor
den Sonnenstrahlen geschützt. Die Stadt ist am Hang eines
amphitheaterförmigen Felsens gebaut. Wir kamen heute Mor-
gen um sechs Uhr im Hafen von Livorno […] an, den wir nach
einem halben Tag um zwei Uhr mit einem starken Wind ver-
ließen, der zu einem Sturm anwuchs. Um 3 Uhr sahen wir ein
Fischerboot, das uns Anzeichen von Seenot zeigte, und hielten
sofort an, um ihnen Hilfe zu bringen. Wir haben eine Stunde
damit verbracht, die Fischer an Bord unseres Dampfes […] zu
nehmen.
[S. 10]
Cagliari am 29. Mai. Gestern Morgen haben wir die
Insel „La Maddalena“ und die Insel Caprera gesehen, die Ei-
gentum des großen Generals Garibaldi […] sind.
[S. 10] - Tunis, 31. Mai [1864]
Ich bin gestern in Tunis angekommen und habe mich in einem
französischen Haus niedergelassen, wo ich ein kleines Zim-
mer mit schlechten Möbeln bewohnte. Es gibt nicht einmal ein
Moskitonetz, sodass ich in dieser Nacht
[S. 11]
nicht schlafen
konnte. […] Die Straßen und Häuser in Tunis sind eng, es gibt
keine Fenster mit Blick auf die Straße, daher sind sie innen kalt
und etwas feucht. Die Straßen sind kurvenreich und eng und
haben keinen Namen, so dass ein Ausländer Schwierigkeiten
hat, sich zu orientieren. Gestern habe ich mich mit örtlichen
Händlern getroffen, um die Meinung der Menschen zu dem
im letzten Jahr unterzeichneten Darlehensvertrag [der Regie-
rung – U. P.] zu erfahren. Ich traf den Konsul von Russland,
der mir die Einreise in das Land erleichterte und mich herzlich
begrüßte. Er versicherte mir die Kredite an Tunesier und sagte
mir, ich solle nach ein paar Stunden zu ihm zurückkehren. Als
ich zurückkam, sagte er mir, dass die Darlehensverträge alle
in Ordnung sind und Vertrauen schaffen; das gleiche wurde
mir von den anderen Händlern bestätigt. Da alles gut läuft, ge-
nieße ich meinen Aufenthalt und fühle mich sehr wohl. Beim
Konsul hatte ich zufällig den Türken Haidar Effendi getrof-
fen, der gerade mit einer osmanischen Flotte angekommen
war.
22
Ich habe ihn gelobt, weil die Produktion und Qualität
vonBaumwolle im„Land der schwarzenBerge“ [Montenegro –
22 Offensichtlich interessierte sich Schliemann, der während des
Krimkrieges (1853-1856) bereits ein Vermögen angehäuft hatte,
indem er Salpeter (für Schießpulver) und Indigo (für blaue Uni-
formen) und ebenso Baumwolle verkaufte. Tatsächlich war der
Preis für Baumwolle (nützlich für die Herstellung von Unifor-
men) während des amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) in
die Höhe geschossen, weshalb die Bank von Erlanger Anleihen
im Zusammenhang mit diesem Produkt emittierte. Aber als der
Krieg endete und sich der Preis wieder normalisierte, wurden die
Investoren nicht mehr zurückgezahlt. Zu Schliemanns unterneh-
merischem Talent: Ernst Meyer, Heinrich Schliemann. Kaufmann
und Forscher, Göttingen 1969, Kap. V, „Kaufmann in Russland
und Amerika“, S. 101-134.
U. P.]
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so stark zugenommen hat. Haidar Effendi, Botschafter
in St. Petersburg, ist eine anständige Person, sehr höflich und
voller Menschlichkeit.
In Tunis sind die Meinungen zu Bey und Mustafa Khaznadar
widersprüchlich. Die Händler, die ein klares Interesse haben
und das Wohlergehen des Landes wünschen, beschreiben den
Bey jedoch als einen weisen, rationalen und wohlwollenden
Mann, während der Rest der Bevölkerung ihn als lächerlich
und unintelligent beschreibt. Darüber hinaus loben diejeni-
gen, die Beziehungen zum Ministerium unterhalten, Khaz-
nadar sehr, während die meisten Menschen ihn als listigen
Verräter bezeichnen, der alle Gesetze aus eigenem Interesse
übertritt.
Hier wird die Sprache mit anderen Maghrebi-Wörtern ge-
mischt und die Aussprache unterscheidet sich völlig von der
in Ägypten und Syrien, weshalb ich es sehr schwierig finde,
zu verstehen und mich selbst zu verständigen.
24
Hier in Tunis ist alles in Ordnung. Es war ein Franzose, der
das Projekt zur Wasserversorgung durchführte:
[S. 12]
aus
den Bergen durch Eisenrohre. In jeder Straße gibt es einen
Brunnen mit klarem und reinem Quellwasser. In der Stadt
gibt es alles und nichts fehlt. Es gibt auch Becken und Zis-
ternen, in denen im Winter Regenwasser gesammelt wird,
damit im Frühling, Sommer und Herbst kein Wassermangel
entsteht.
Ich denke, es gibt nicht mehr als fünftausend Einwohner.
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Es
gibt Aprikosen, Pfirsiche, Radieschen, Orangen und jede Art
von lokalem Obst, das auf der Straße billig verkauft wird. Es
gibt nur wenige asphaltierte Straßen, die normalerweise zu
den Nachbargebäuden gehören.
Ich hoffe, der Konsul hält sein Versprechen, mich Khaznadar
vorzustellen. Ich würde ihm gerne sagen, wie glücklich ich
bin, seine Bekanntschaft zu machen, und es ist eine große
Ehre, die rechte Hand des Bey zu treffen. Sein Ruhm hat die
Welt durchquert und seine Weisheit und sein Management der
Angelegenheiten des Landes sind so berühmt, dass Europa
von seinen Methoden inspiriert ist. Ich könnte ihm sagen,
dass ich letztes Jahr vierzig Millionen Franken in tunesischen
Anleihen gekauft habe, und dass ich weit weg von hier in
Russland lebe
,
dass ich auch in Währungen investiere, viel
reise und den großen Wirtschaftsminister treffe, der alle An-
gelegenheiten des Landes regelt. Ich würde ihm auch sagen,
23 In den meisten nicht-slawischen europäischen Sprachen und in
anderen Sprachen auf der ganzen Welt hat sich diese von den
Venezianern eingeführte italienische Bezeichnung etabliert. Als
die Türken im 15. Jahrhundert den Balkan eroberten, fiel auch
Montenegro unter ihre Herrschaft, mit Ausnahme des Küstenteils,
der von 1420 bis 1797 fest in den Händen der Republik Venedig
blieb. Ende des 17. Jahrhunderts, nachdem die Türken zahlreiche
Niederlagen gegen Österreich erlitten hatten, ermöglichte die
Schwächung des Osmanischen Reiches Montenegro eine gewisse
Autonomie und blieb aber gleichzeitig ein Nebenland des Sultans
von Istanbul.
24 Bezieht sich auf Tunesisch-Arabisch.
25 Heute hat Tunis etwa 1.056.247 Einwohner.