Seite 58 Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
Nach Schliemanns Besuch wurde es schlimmer. Im folgenden
Jahr 1865, dachten der Bey und Khaznadar, das Problem der
Rückzahlung des Darlehens mit einem anderen Darlehen zu
bewältigen, das jedoch nur dazu diente, die Zinsen der vorheri-
gen Schulden teilweise zurückzuzahlen. Die Steuern mussten
wieder steigen, und infolgedessen führten soziale Spannun-
gen zu offensichtlichen und weit verbreiteten Unruhen. Die
im Zeitraum von 1863 bis 1865 angehäuften Schulden und die
Unfähigkeit, ausländische Gläubiger, insbesondere Franzosen,
zufrieden zu stellen, veranlassten Frankreich, Tunesien unter
Schutz zu stellen, indem ein Protektorat geschaffen wurde, das
mit dem berühmten „Vertrag von Bardo“ auferlegt wurde, der
am 12. Mai 1881 im Palast von Ksar Sadik unterzeichnet wur-
de.
17
Es ist interessant, Schliemanns Tagebuch mit dem zu verglei-
chen, das nur dreißig Jahre später von Guy de Maupassant
,
La
17 Bis zur Gründung der Republik im Jahr 1957 durch Habib Bourg-
hiba (1903 - 2000) blieb die Souveränität der Beys über das Land
tatsächlich „symbolisch“.
vie errante
18
, geschrieben wurde, der Tunis als dreigliedrige
Stadt darstellte – arabisch, französisch und jüdisch. Die Ju-
den dominierten, auch dank der kommerziellen Vitalität einer
Stadt, die sich ohnehin der westlichen Welt öffnen wollte. In
der Hauptstadt existierten verschiedene Sprachen, Kulturen,
Traditionen und Religionen nebeneinander. Die Orthodoxen
lebten zusammen mit Katholiken, Kopten und Armeniern
neben Juden und Muslimen. Griechische und türkische Ge-
meinden hatten sich in die jüdischen und arabischen integriert,
während der jüngste Beitrag der Franzosen dieser exotischen
Stadt einen europäischen Touch verlieh.
Dieser jahrhundertealte und faszinierende Schmelztiegel ver-
schiedener Zivilisationen löste sich jedoch erst innerhalb weni-
ger Jahrzehnte im 20. Jahrhundert auf.
19
Das Tagebuch
Die Originale der Tagebücher befinden sich in der ACSA Gen-
nadius Library, Schliemann Archive, Tagebuch A 5. Die Über-
setzungen aus dem klassischen Arabisch ins Italienische stam-
men von Ezzazia Souilmi
(E. S). Die Transkriptionen der Origi-
nalpassagen in italienischer Sprache, der Text des Artikels, die
dazugehörigen Anmerkungen und die Ergänzungen in eckigen
Klammern stammen von Umberto Pappalardo (U. P.).
Reisen nach Afrika
[S. 7 ff.]
- [Mai 1864 in Paris, wo er im Grand Hotel des Ca-
pucines wohnt]
20
; […
S. 8]
- ... am Montag, den 23. Mai ging
ich zu den Bankiers Zellweger und Erlanger ... Ich nahm beide
Kreditbriefe über Tunis
21
und fuhr abends um 8 Uhr und 40
Minuten mit einem Express über Chamberi [Chambéry] und
San Michele nach Savoya. [... als er durch Moncenisio fuhr,
kam er in Susa an, wo es Zollkontrollen gab] ... wir kamen um
11 1/2 in Turin an, wo ich nachts im Hotel Ligurien abstieg und
morgens um 5 Uhr 40 Minuten nach Genua fuhr ... [
S. 9
] ... Ich
kam gegen Mittag in Genua an, wo ich in Fedors Gasthaus […]
wohnte. Wir machten uns gestern um 8 Uhr nachmittags mit
dem Moncalieri-Dampfer auf den Weg nach Livorno, Cagliari
und Tunis, und ich muss gestehen, dass ich mich mit großem
18 Guy de Maupassant, La vie errante, Paris 1890, Kapitel über Tu-
nis.
19 Startend mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt (Sechs-Ta-
ge-Krieg von 1967) und gefolgt von der Ausbreitung des arabi-
schen Nationalismus, hat man das rasche Verschwinden sehr alter
jüdischer Gemeinden (von Fes bis Djerba, von Algier bis Damas-
kus) erlebt, die der homologierenden Wut nicht standhielten. Das
war früher eine kosmopolitische Welt, die in einer atemberau-
benden Atmosphäre im Film „Ein Sommer in La Goulette“ (1967;
Regie: Férid Boughedir, mit Claudia Cardinale) bewundernswert
„gemalt“ wurde. Der Libanon mag heute noch das letzte Zeugnis
dieses tausendjährigen Kosmopolitismus sein, aber er hat zu teuer
dafür bezahlt, dass verschiedene Völker und Glaubensrichtungen
unter ihnen koexistieren können.
20 Dies ist offensichtlich das Grand Hôtel de Paris, 15 Boulevard des
Capucines, IXe Arrondissement, Paris.
21 Informationen zur Geschäftskorrespondenz mit Zellweger und Er-
langer finden sich unter ASCSA. Schliemanns ausgehende Korre-
spondenz 1864 (mit freundlicher Genehmigung von Natalia Vogei-
koff, Direktorin des Schliemann-Archivs Athen).
Abb. 14 – Die Unterdrückung des Volksaufstands in Kairouan. Bild
von E. Bertrand aus dem Jahr 1865. Tunis, Nationalmuseum für Mi-
litärkunst
Abb. 15 – Die arabische Überschrift links neben der Unterschrift lau-
tet „Die Schlacht von Jlass in Kairouan mit dem Fürsten der Fürsten
Hussein Rachid Agha“