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Seite 56 Informationsblatt 32 Dezember 2020

Beiträge und Berichte

Seine sterblichen Überreste kehrten 1968 nach Tunis zurück,

um auf dem Djellaz-Friedhof beigesetzt zu werden (Abb. 10).

Bewundert und geschätzt wird er heute von den Tunesiern für

seinen ebenso anstrengenden wie vergeblichen Kampf gegen

den korrupten Khaznadar. Diese Wertschätzung sehen wir auf

den 20 Dinar-Münzen, wo sein Bildnis auf dem Pferderücken

dargestellt wird.

Der vierte, hinter den Kulissen verborgen, aber nicht weniger

wichtig, war Baron Frédéric Émile d‘Erlanger (Frankfurt am

Main 1832 - Ver-

sailles 1911, Abb.

11 und 12). Als Jude

deutscher Herkunft

gründete er 1859 in

Paris eine große In-

vestmentbank mit ei-

ner Niederlassung in

London. In der Wirt-

schaftswelt der zwei-

ten Hälfte des 19.

Jahrhunderts gehörte

er zu den wichtigsten

Protagonisten. Er war

an der Finanzierung

des Suezkanals und

des Simplon-Tunnels

beteiligt, dem damals wichtigsten Eisenbahntunnel Europas.

Von Otto I. wurde er zum Generalkonsul von Griechenland in

Frankreich und zu seinem Finanzagenten ernannt.

Erlanger gilt auch als der Erfinder von Anleihen mit hohem

Risiko an Entwicklungsländer (einschließlich solcher für Tu-

nesien) mit Wertpapieren, die auf den europäischen Märkten

gehandelt, aber niemals an die Anleihegläubiger zurückgezahlt

wurden. Erlanger selbst war so reich geworden, dass er wäh-

rend des Deutsch-Französischen Krieges (1870-1871) mit sei-

ner Familie nach London in die alte Heimat von Lord Byron in

Piccadilly zog.

10

Erlanger war auch Schliemanns Bankier und Geschäftspart-

ner, und Heinrich sah ihn vor seiner Ankunft in Tunis, wie er

in seinem Tagebuch berichtet.

Unter welchen Bedingungen fand Schliemann Tunesien?

Seit Jahren hatte sich die wirtschaftliche Situation des Lan-

des verschlechtert, hauptsächlich aufgrund der Korruption

von Bürokraten und Aristokraten. Khaznadar, der als Sklave

nach Tunesien gekommen war, war tatsächlich der reichste und

mächtigste Mann des Landes. Für jede Transaktion, für jedes

Darlehen und sogar für die gesamten Steuereinnahmen erhielt

er eine Provision. Er war so gierig, dass er sogar vom Verkauf

der archäologischen Stücke, die in seinen Besitzungen wie in

Sousse gefunden wurden, an die Europäer profitierte.

11

Kheireddine Pasha, selbst ein unbeeinträchtigter Beamter,

der zum Präsidenten des Obersten Rates ernannt worden war,

10 In Tunesien ist sein Name vor allem mit dem seines Sohnes Fran-

çois Rodolphe d‘Erlanger (1872–1932) verbunden geblieben, der

ein orientalistisch inspirierter Maler und großer Musikwissen-

schaftler war und ein monumentales Werk zur arabischen Musik

verfasste: François Rodolphe d ‚Erlanger u.a., La musique arabe,

Bde. 1-6, Paris 1930-1959. Rodolphe ließ sich eine wunderschöne

Villa in Sidi Bou Said in der Nähe von Tunis bauen, die sogenann-

te Ennejma Ezzahra oder „Der leuchtende Stern“ (Abb. 13). Die

1989 von der tunesischen Regierung erworbene Villa ist heute ein

Museum und Sitz des Centre des Musiques Arabes et Méditerra-

néennes: Mounir Hentati, Ennejma Ezzahra, Sidi Bou Said 2019.

11 Freundliche Mitteilung von M‘hamed Hassine Fantar.

Abb. 9 – Tunis, Medina, Palais Kheireddine Pasha

Abb. 10 – Grab von Kheireddine Pasha. Tunis, Djellaz Friedhof

Abb. 11 – Der Bankier Baron Frédéric

Émile d‘Erlanger (1832 - 1911)

Abb. 12 – Die Villa „Ennejma Ezzahra“ von François Rodolphe d‘Er-

langer in Sidi Bou Said