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Seite 37

Informationsblatt 25 Dezember 2013

Beiträge und Berichte

lutherischer Mann? Wahrscheinlich, aber die Kinder

gehörten dann automatisch der orthodoxen Glaubensrichtung

an und wurden in ihrem Geiste erzogen. Katherina war auf

jeden Fall sehr gläubig (das Wort ‚bigott‘ ist nicht genau

genug), und dass sie frömmelte, lässt sich nicht leugnen.

Die Schliemanns hatten ihre Familienkirche unweit ihrer

Wohnung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schliemann

in irgendeiner Weise Gefallen an der russischen Orthodoxie

gefunden haben könnte. Im Gegenteil, der orthodoxe

Pomp, die lange und pompöse Liturgie, der Ikonenkult

(die mangelnde Hygiene, die damit verbunden war), die

Niedrigkeit des menschlichen Individuums, all das muss

letztlich abstoßend auf ihn gewirkt haben. … Ich bin sogar

überzeugt, dass auch die religiösen Unterschiede zwischen

ihm und Katherina seiner russischen Ehe geschadet haben

(ich glaube, darüber etwas in einem seiner Briefe gelesen zu

haben). Seinen Sohn Sergej wollte er ganz sicher aus diesem

Dunstkreis herauslösen. Deshalb das Drängen nach Dresden,

nach Paris, nach dem Westen Europas. Offensichtlich hatte

Schliemann mit den christlichen Religionen bzw. Kirchen

überhaupt nichts am Hut. Er war ihnen gegenüber wohl sehr

gleichgültig.

3. Schliemann und der Islam. Hierzu weiß ich einfach zu

wenig, fast nichts. Er wird auch ihm gleichgültig gegenüber

gestanden haben, musste sich aber aus sachlichen Gründen

mit ihm arrangieren. An Ehrerbietung und Achtung der

religiösen Gefühle wird er es nicht haben fehlen lassen

(schon seiner Arbeiter wegen). … Hinsichtlich seiner

Orientreise und seiner Arabischkenntnisse habe ich noch

einmal in die Autobiographie hineingeschaut. Dort ist er

ganz nüchtern und schreibt, dass er sich erst in St. Petersburg

eingehender mit Arabisch befasst habe. Das, was er sonst

über das Vorlesen aus dem Koran usw. in Briefen geschrieben

hat, ist wohl als Flunkerei zu verstehen. Vielleicht ist

übersehen worden, dass der gute Schliemann innerhalb

des einigermaßen sicheren Osmanischen Reiches reiste.

Dass er dabei Kontakt zur örtlichen Bevölkerung hatte,

dürfte unumstritten sein, ebenso, dass er als Ausländer und

Nichtmuslim leicht zu erkennen war. An ein Versteckspiel

seinerseits glaube ich nicht. Das musste nicht sein und wäre

ansonsten auch gefährlich gewesen.“

Soweit ein erster Bericht über „Schliemann und die

Religionen“. Nun freue ich mich auf eine wie immer auch

geratene Zusammenarbeit und Reaktionen zu diesem Thema.

Der Anfang ist gemacht.

Dr. Reinhard Witte

(Museumsleiter)