Seite 44 Informationsblatt 24 Dezember 2012
Beiträge und Berichte
Ehescheidung, Doktortitel und Wiederverheiratung -
das Jahr 1869 beendet Schliemanns Lebenskrise
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das Jahr 1869 beendet Schliemanns Lebenskrise
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Heinrich Schliemann (1822-1890) hat seinen abenteuerli-
chen Lebensweg vom Pastorenjungen aus dem rückständigen
Mecklenburg zum weltbekannten Ausgräber in seinem 1881
erschienenen autobiographischen Rückblick eindrucksvoll in
Szene gesetzt. Er hat ihn so geschildert, als sei es schon seit
seiner Kindheit sein angestrebtes Lebensziel gewesen, das le-
gendäre Troja auszugraben, das er ein Leben lang zielstrebig
verfolgt hätte. Zuvor habe er als Kaufmann in Russland das
dafür notwendige Kapital erworben. Alle Welt hat ihm das
lange Zeit geglaubt und ihn deshalb bewundert. Anfang der
siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts ließen zwei Forscher aus
den USA durch ihre Recherchen in Archiven und Schliemanns
schriftlichem Nachlass Zweifel am Wahrheitsgehalt von
Schliemanns Auskünften aufkommen. Dies rief im Vorfeld
seines 100. Todestages im Jahre 1990 weltweit Wissenschaft-
ler und Schriftsteller auf den Plan, die nun genau wissen woll-
ten, was in Schliemanns Autobiographie Dichtung und was
Wahrheit war. Die Ergebnisse ihrer Recherchen wurden im
Jubiläumsjahr 1990 auf mehreren internationalen Konferen-
zen vorgestellt und diskutiert. Wie nicht anders zu erwarten,
wurden die Ergebnisse unterschiedlich bewertet. Schliemanns
Hauptkritiker bezeichneten ihn wegen der festgestellten Un-
stimmigkeiten als „pathologischen Lügner“, seine Verteidiger
hingegen sprachen von „Inszenierungen“ eines sehr ehrgeizi-
gen und ichbezogenen Menschen. Auch Schliemanns größte
Kritiker sprachen ihm aber nicht seine Verdienste ab, die er
sich besonders durch die Wiederentdeckung der mykenischen
Hochkultur erworben hatte. In der Folgezeit zeigte sich bei
neuerlichen Recherchen, dass die meisten der gegen Schlie-
mann erhobenen Fälschungsvorwürfe nicht begründet wa-
ren. Eines wurde aber auch deutlich: Schliemanns Leben war
durchaus nicht so zielbewusst und gradlinig verlaufen, wie es
von ihm dargestellt worden war. Sein „Traum von Troja“, also
sein Vorsatz, das legendäre Troja auszugraben, hat von Schlie-
mann erst in der Mitte seines Lebens im Alter von 46 Jahren
Besitz ergriffen und das nur durch einen Zufall!
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Die Vorgeschichte: Mit der Absicht, nach Südamerika auszu-
wandern, war Schliemann 1841 im Alter von 19 Jahren nach
einem Schiffbruch in Holland gelandet und verdiente sich hier
als Kaufmann erste Sporen. Er gründete in St. Petersburg eine
Handelsniederlassung, nahm die russische Staatsbürgerschaft
an und machte sich 1847 als Importkaufmann selbständig. 1852
heiratete Schliemann die Russin Jekaterina Lyshina (Abb.1).
Als 1853 der Krimkrieg ausbrach, wurde er Lieferant der zaris-
tischen Armee und innerhalb der drei Kriegsjahre mehrfacher
Millionär. Nach dem Krimkrieg geriet Schliemann 1856, vor
allem wegen seiner unglücklichen Ehe, in eine Lebenskrise.
Er wollte seinem Leben einen neuen Lebensinhalt geben und
versuchte, aus dem Handelsgeschäft auszusteigen, Ländereien
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Erweiterte Fassung eines Artikels des Autors im „Mecklenburg-Maga-
zin“ der SVZ mit dem Titel „Traum von Troja beendet Lebenskrise“ am
10.9.2012.
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W. Bölke, Der Traum von Troja - Dichtung oder Wahrheit? In: Carolinum
53, 1989/90, 59-67.
zu erwerben und sein weiteres Leben den Wissenschaften zu
widmen. Er beklagte dafür aber seine fehlenden Vorausset-
zungen. Von einer Absicht, Troja auszugraben, erfahren wir in
den erhalten gebliebenen Briefen des Vielschreibers aus dieser
Zeit nichts!
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Nach einer Reise in den Orient nahm er die kauf-
männische Tätigkeit wieder auf. Erfolgreich im Handel mit In-
digo, hoffte er, dass seine Ehe wieder in Ordnung kommt. 1863
ließ sich der erfolgreiche Kaufmann in St. Petersburg in die
Erste Gilde eintragen, ein Jahr später erhielt Schliemann durch
Zar Alexander II. die erbliche Ehrenbürgerwürde. Trotzdem
liquidierte er noch im selben Jahr seine Handelsgeschäfte und
verließ Russland. Seine Ehe war zerbrochen, drei Kinder wa-
ren inzwischen geboren worden. Schliemann begab sich auf
eine zweijährige Reise u. a. nach Ägypten, Indien, China, Ja-
pan und Nord- und Mittelamerika und veröffentlichte darüber
sein erstes Buch in französischer Sprache. 1866 zog er nach
Paris und trug sich zum Studium der Philosophie, Literatur
und Philologie an der Sorbonne ein. Er versuchte vergeblich,
seine Frau zu bewegen, mit den Kindern zu ihm zu ziehen. –
Im Jahre 1868 unternimmt Schliemann eine Reise auf den
Spuren Homers, dessen epische Schilderungen des trojani-
schen Krieges in der „Ilias“ und „Odyssee“ er für realitäts-
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W. Bölke, Der Briefwechsel zwischen Heinrich Schliemann und dem
Warener Kaufmann J. H. Bahlmann. In: Mitteilungen aus dem HSM An-
kershagen 9, 2011, 189-200.
Schliemanns russische Ehefrau Jekaterina Lyshina (Foto HSM)