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Informationsblatt 23 Dezember 2011
Sonderausstellungen
interessanter. Dieses sehr umfangreiche illustratorische Werk
fand seine Würdigung in einer Vielzahl von Auszeichnungen
als „Schönstes Buch“ auf nationaler und internationaler Ebene.
Wir bedauerten seiner Zeit, dass Johannes Niedlich durch die
Illustrationsarbeit so wenig Zeit für die freie Arbeit blieb. Das
änderte sich zu Beginn der 1990er Jahre, und diese Änderung
haben wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge ge-
sehen. Lachend, weil nun Zeit für viele freie Arbeiten war, und
weinend, weil Bücher ohne Illustrationen häufig wie ein Torso
sind. Der Beschäftigung Johannes Niedlichs mit gesellschaft-
lichen Verhältnissen über den Weg der Buchillustrationen,
aber auch durch die rein praktische Tätigkeit in Altlandsberg,
zum Beispiel durch die Mitarbeit bei der Restaurierung der
Stadtmauer, in den 1970er und 1980er Jahren, folgte zu Beginn
der 1990er Jahre das aktive Bemühen um die Ausgestaltung
bürgerlich-demokratischer Verhältnisse, so durch die Bildung
der Altlandsberger Wählergemeinschaft und die langjährige
Mitwirkung im Stadtparlament.
Gegenstand des zeichnerischen Werks von Johannes Niedlich
sind seit Beginn der 1990er Jahre vorwiegend Pflanzen- und
Tiermotive, wie Sie sie auch in der Ausstellung finden werden.
Und bei diesen Motiven setzt die Schwierigkeit der Würdigung
ein, denn es handelt sich wohl weder um naturgetreue
Abbildungen noch um satirische Darstellungen, selbst wenn
man insbesondere bei vielen Tierdarstellungen auf die Idee
kommen könnte – wie z. B. beim Zyklus „Hühner sind auch
nur Menschen“. Man stellt sich folgerichtig die Frage, warum
Johannes Niedlich diese Motive und die Art ihrer Darstellung
immer wieder wählt. Diese Frage stellt sich insbesondere auch
bei dieser Ausstellung hier auf dem Lande. Wir haben unseren
Kindern häufig ein russisches Märchen von Iwanuschka, der
gewöhnlich der Dumme genannt wird, vorgelesen. Iwanuschka
hebt die Tür seines Hauses aus und nimmt sie auf seiner
Wanderung mit, weil er sie ja im Auge behalten soll. Als er
in den Wald kommt, fragt ihn der Bär, warum er Holz in den
Wald trägt. Das ist eine andere Version des Bildes „Eulen nach
Athen tragen”, womit wir einen, wenn auch sehr umständli-
chen Bezug zum Heinrich-Schliemann-Museum hergestellt ha-
ben. Warum zeichnet also einer Pflanzen und Tiere und stellt
diese Bilder auch noch auf dem Lande aus. In der Stadt mag das
noch eine gewisse Berechtigung haben, denn Stadtmenschen
kennen vor allen Dingen Zimmerpflanzen und Hunde und
Katzen. Bei den Landmenschen unterstellt man aber, dass sie
die abgebildeten Pflanzen und Tiere kennen. Im Gegenteil, sie
werden feststellen, dass die Pflanzen und Tiere in der Natur
eigentlich doch etwas anders aussehen. Warum also soll man
sie betrachten? Hier schließt sich meines Erachtens der Kreis
zur Illustration von Büchern. Sie ist zwar nicht zwingend er-
forderlich, aber äußerst nützlich, denn sie eröffnet neue und
andere Möglichkeiten der Beurteilung und des Nachdenkens
über den Gegenstand – sie ist Anregung. In unserer schnellle-
bigen Zeit, in der alles unter Zeitdruck und häufig hektisch er-
ledigt werden muss und wir uns vorwiegend imAuto bewegen,
haben wir wenig Gelegenheit und nehmen wir uns zu wenig
Zeit, die uns umgebenden Dinge in Ruhe zu betrachten. Unsere
Sehgewohnheiten sind stark eingeschränkt und auf das ver-
meintlich Wesentliche konzentriert. Uns fehlt häufig einfach
die Muße, uns Pflanzen und Tiere, aber auch die Landschaft,
in Ruhe zu betrachten, Details zu entdecken oder einfach nur
die Schönheit aufzunehmen. Mit den Zeichnungen hat sich
Johannes Niedlich die Mühe gemacht, Pflanzen und Tiere in
Ruhe und Gelassenheit zu betrachten, die Schönheit des Details
darzustellen oder ironisch auf Verhaltensbesonderheiten von
Tieren und im Vergleich zum Menschen hinzuweisen – für ihn
kommt es nicht darauf an, möglichst viel in möglichst kurzer
Zeit zu betrachten und darzustellen, sondern den Betrachter
anzuregen, seine Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten zu
verändern und den Blick auf Details konzentrieren zu können,
wobei er selbst herausfinden soll, was für ihn wesentlich ist.
Ich darf Sie also einladen, mit der Betrachtung der Ausstellung
die Anregungen aufzunehmen, zu verinnerlichen und, soweit
möglich, in den stillen Momenten eines jeden Tages zu erleben
(Abb. 3 und 4).
Herzlichen Dank.“
Die Sonderausstellung „LebeWesen“ kann noch bis zum
25. März 2012 im Dachgeschoss des Heinrich-Schliemann-
Museums betrachtet werde. Die Bilder sind auch käuflich zu
erwerben.
Sonderausstellung „LebeWesen“: Im Gespräch der Künstler (4. v. l.) mit
Herrn Voppmann (3. v. l.)
Sonderausstellung „LebeWesen“: Nur ein kleiner Einblick in das umfang-
reiche Schaffen von Herrn Niedlich