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Es wäre durchaus denkbar, dass die Zerstörungen am Beginn des 12. Jh. v. Chr.

verschiedenen kausal miteinander verknüpften, aber gegenläufigen Kriegen zuge-

ordnet werden müssen. Zunächst stießen miteinander verbündete luwische Klein-

staaten vom ägäischen Raum mit Schiffen Richtung Südosten vor. Diese Angriffe

sind bis heute als die sogenannten Seevölker-Invasionen überliefert. Einige Jahre

später verbündeten sich die griechischen Königreiche, um gegen die siegreichen

Luwier am Ostufer der Ägäis anzuziehen. Diese zweite Zerstörungswelle blieb in

der griechischen Tradition als der sogenannte Trojanische Krieg in Erinnerung.

Nachdem griechische Kämpfer zahlreiche luwische Hafenstädte und am Ende

auch Troja zerstört hatten, kehrten die überlebenden Könige schließlich zurück. In

Griechenland hatten jedoch Stellvertreter ihre Plätze eingenommen, und diese wa-

ren nicht bereit, die Macht wieder abzugeben.

51

So kam es zu einem Bürgerkrieg

ohne äußere Einwirkungen.

52

– Mit diesem Modell lassen sich Grabungsbefunde,

Dokumente und spätere Erinnerungen in Einklang bringen.

7.3 Trojanische Kontingente nach Homers Ilias

Die Identifizierung eines luwischen Kulturkreises könnte somit auch dazu beitra-

gen, den sogenannten Trojanischen Krieg, dessen Historizität für fast ausnahms-

los alle antiken griechischen Historiografen eine Tatsache war, in einen plausiblen

Kontext einzuordnen. Auch wenn man davon ausgeht, dass Homer in der

Ilias

keine

historischen Fakten überlieferte, hat sich doch in den sogenannten Schiffskatalo-

gen offenbar eine Erinnerung an die politische Geografie bewahrt. Der von Homer

ebenfalls aufgeführte Troerkatalog

53

würde demnach in etwa die Verteilung der lu-

wischen Kleinstaaten widerspiegeln.

54

Homer beschreibt die Größe des trojanischen

Königreichs,

55

indem er Achill sagen lässt, dass Priamos’ Reich Lesbos einschloss

und bis nach Phrygien und Thrakien reichte (Abb. 9). Homer sagt auch, dass Achill

zwölf anatolische Küstenstädte per Schiff und zusätzliche elf von Land aus zerstör-

te,

56

bevor er mit seinen Truppen in Troja eintraf. Der Trojanische Krieg betraf also

nicht nur Troja, sondern praktisch die ganze Westküste Kleinasiens (Abb. 10).

Der Troerkatalog umfasst 62 Zeilen – im Vergleich zu den 266 Zeilen des grie-

chischen Schiffskatalogs. Der Dichter nennt 16 Kontingente trojanischer Verbün-

51

Platon,

Nomoi

3.682; Thukydides 1.12; Strabon 1.3.2.

52

Reemtsma 2015, S. 28.

53

Ilias

2.816–877.

54

Albright 1950, S. 169; Visser 1997; dagegen argumentieren Kullmann/Rengakos 2002, S. 23, und

Reichel 2011, S. 44.

55

Ilias

24.544.

56

Ilias

9.328–329.