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Es liegt auf der Hand, dass der Kenntnisstand in der Ägäischen Frühgeschichte

durch die nie umfassend hinterfragten philhellenischen Fundamente dieser Dis-

ziplin bis heute beeinträchtigt ist. Eine ganze Reihe noch immer offener Fragen

der Mittelmeerarchäologie sind hierauf zurückzuführen.

Wir stellen folgende Hypothesen auf:

1. Es gab im Westen der heutigen Türkei im 2. Jt. v. Chr. eine Reihe kleiner

und mittelgroßer Königreiche, die zusammengenommen in ihrer wirt-

schaftlichen und politischen Macht der minoischen und der mykenischen

Kultur ebenbürtig waren.

2. Diesen Kulturkreis bezeichnen wir als luwische Kultur, seine Bewoh-

ner als Luwier. Luwien blieb als potenzieller Machtfaktor bisher weit-

gehend unbeachtet, womit ein wesentliches Erklärungsmoment zum

Ende der Spätbronzezeit fehlt. Zusammengenommen bildeten die luwi-

schen Kleinstaaten eine Macht von überregionaler Bedeutung. Sie waren

damit ein wichtiger Faktor am Ende der Bronzezeit – ein Faktor, der bis-

her übersehen wurde.

3. Auch Troja gehörte zum luwischen Kulturkreis und war zwischen 1800

und 1200 v. Chr. ein überregional bedeutendes Königreich. Die Stadt galt

unter den Mittelmeeranrainern als die prächtigste und bedeutendste Me-

tropole der Vorantike. Die Fundstelle Hisarlık, die heute landläufig als

Troja bezeichnet wird, ist lediglich ein kleiner Teil davon.

4. Die von ägyptischen Tempelinschriften bekannten sogenannten Seevöl-

ker-Invasionen um 1200 v. Chr. und der Trojanische Krieg gehören der

gleichen Ereigniskette an. Bei den Seevölkern handelt es sich um ein

militärisches Bündnis luwischer Kleinstaaten. Sie erzielten in kurzer Zeit

erhebliche Erfolge und wurden anschließend in ihren Heimatstädten von

einem vergleichbaren Bündnis mykenischer Kleinstaaten angegriffen

und besiegt.

Diese Thesen sind nicht neu – sie wurden in ganz ähnlicher Form vor über zwanzig

Jahren publiziert,

59

international durchaus begrüßt,

60

in Deutschland aber missbil-

ligt.

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Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat gezeigt, dass die ursprüng-

lichen Thesen nicht unberechtigt waren und dass ein konstruktiver Umgang mit

neuen Ideen für zukünftige Untersuchungen sehr viel hilfreicher ist als das Behar-

ren auf möglicherweise längst überholten ideologischen Modellen.

59

Zangger 1994, S. 269 f.

60

Pullen 1994.

61

Z. B. Niemeier 1998.