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Hinsichtlich des Vorliegens einer anderen Art der Gattung Homo, nämlich des

ausgestorbenen Homo Neandertalensis, hat sich Virchow geirrt. Für ihn war das

Material für solch eine revolutionäre Vorstellung noch zu unvollständig, auch

wenn er durchaus die Gedanken Darwins schätzte, sie aber noch als Hypothese

ansah. Mit Schaafhausen blieb er lebenslang im Streit.

Auch dieses interessante Kapitel der Wissenschaftsgeschichte hat Christian An-

dree sehr ausführlich beschrieben (1, Band 1, S. 151-164). Durch die modernen

pathologisch-paläologischen Diagnostikmethoden wird deutlich, dass Virchows

Blick auf das Erkennen einer bisher unbekannten Menschenart, des Homo Ne-

andertalensis, durch die ausgeprägten Krankheitszeichen des Leitbefundes ver-

stellt war – mit seiner Autorität hat er dieses Fehlurteil in Deutschland leider

lange aufrecht erhalten (28, 13).

Auf diese bereits berühmte Persönlichkeit traf Heinrich Schliemann im Au-

gust 1875 erstmals persönlich. Er besuchte ihn in seiner Berliner Wohnung und

brachte ihm als Gastgeschenk Gesichtsurnen mit, die er in Troia gefunden hatte

(11, S. 189). Virchow hatte äußerlich ähnliche Keramik in Pommern gefunden

und bereits 1870 in der Zeitschrift für Ethnologie darüber publiziert (19). In

beiden Fällen handelte es sich um äußerlich ähnliche Keramik aus unterschied-

lichen Kulturen der Bronzezeit. Es entwickelte sich rasch ein enges Verhältnis

der Zusammenarbeit, das jedoch keineswegs ausgewogen war. Virchow war ein

gestandener Mann, anerkannt als Wissenschaftler und Experte mit umfangrei-

chen gesellschaftlichen Kontakten bis in das deutsche Kaiserhaus, zurückhal-

tend und sehr überlegt in seinen Urteilen, naturwissenschaftlich orientiert. Auch

im Vergleich ihres archäologischen Vorgehens wird das deutlich. Schliemann

interessierte ihn zunächst unter demAspekt des Zugangs zu neuem Forschungs-

material, insbesondere für seine kraniologischen Arbeiten. Für Schliemann

bedeutete Virchow dagegen den Schlüssel zur Anerkennung seiner Arbeit und

seiner Entdeckungen durch die deutsche Wissenschaft und Öffentlichkeit. Zu-

sätzlich eröffnete ihm Virchow den Kontakt zur Naturwissenschaft, von der

Schliemann nach Aussage von Virchow nichts verstand (2, 236 ff). Virchow

wurde zudem auch sein wissenschaftspolitischer Berater in der Auseinander-

setzung mit seinen Anfeindungen und setzte sich persönlich mit seiner ganzen

Autorität für Schliemann ein, insbesondere vor dem Forum der BGAEU, z. B.

gegen Stephani und Brentano (1, Quellen 286, 316; 27). In diese unterstützende

Strategie gehört letztlich auch die Planung der Trojakonferenzen, an deren zwei-

ter Virchow im Frühjahr 1890 selbst teilnahm und erneut die Troias durchstreif-

te, diesmal zusammen mit Schliemann. Virchow sorgte so, wie von Schliemann

erhofft, mit seinen Mitteln für die Verbreitung seiner Ausgrabungsergebnisse

im deutschen Sprachraum, wobei die Arbeit in der Berliner und Deutschen Ge-