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chungen in der Metallurgie, in der Botanik und untersuchte bereits gezielt Abfälle

menschlicher Besiedlungen. 1880 hat Virchow wichtige Befunde in der Arbeit

„Der Spreewald und die Lausitz“ (18) veröffentlicht. Dieser Aufsatz enthält nach

der für Virchow typischen Gesamtschilderung von Landschaft, Klima, Ethnologie

usw. die wesentlichen Ergebnisse seiner Grabungen. Im Museum der Westlausitz

in Kamenz und im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte kann man Funde

besichtigen, die zum Teil aus der privaten Sammlung Rudolf Virchows stammen.

Rudolf Virchow war Anatom. In der

Kraniologie

traf sich sein spezielles Interesse

für menschliche Anatomie und Anthropologie. Er stand dabei natürlich auch im

geistigen Erbe seiner Zeit, das in der Form und Gestalt des menschlichen Schä-

dels Hinweise auf allgemeinere Merkmale des Individuums suchte. Oken und

Gall, zwei Kraniologen des frühen 19. Jahrhunderts, beeinflussten Virchows ana-

tomisches Verständnis. Die umfangreiche Sammlung, ca. 2.500 Schädel aus un-

terschiedlichen Zeiten und Weltteilen, diente vor allem der Suche nach äußeren

Merkmalen als Zeichen möglicher ethnischer Herkunft oder sogar qualitativer Ei-

genschaften. Früh musste Virchow feststellen, dass verbreitete Annahmen, wie do-

lichocephale Schädel seien germanischen, brachycephale slawischen Ursprungs,

nicht stimmen. Dies wurde im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen von

Gräberfeldern und auch bei der Untersuchung von Fundmaterial im Kaukasus

klar. Bei aller Raffinesse der damaligen Schädelvermessungen (5) mit zahlreichen

Messreihen konnte aus dem einzelnen Schädel kaum etwas zur ethnischen Zu-

gehörigkeit seines Trägers abgeleitet werden. Dies bestätigte sich später, wie wir

sehen werden, auch in der Troias. So blieb die Kraniologie Virchows und seiner

Zeitgenossen letztlich ein Irrweg in der anthropologischen Forschung. Er fand

keinen anatomisch definierbaren Urgermanen oder Urhellenen, „Vermischung der

Merkmale“ war vielmehr ein häufiges Phänomen, wie er auch in einem anderen

Zusammenhang, anlässlich der berühmten Schulkinderuntersuchung, abschlie-

ßend veröffentlicht 1886, feststellte (25). Wissenschaftliche Erkenntnis erwächst

häufig im Ausschlussverfahren, sie verliert durch diesen Weg jedoch keinesfalls

an Bedeutung.

Virchow war ein vorsichtiger Wissenschaftler, der sein Urteil nicht vorschnell ab-

gab. Dies wird besonders deutlich am Problem der Einordnung des Neandertalers.

Er hatte zunächst nur über den Fund von 1856 gelesen. Erst 1872 konnte er vor

der BGAEU nach einer fast illegalen Untersuchung der Knochenreste aus dem

Neandertal eine genauere Schilderung geben (20). Virchow hatte dabei aus heuti-

ger Sicht auf zwei Fragen zu antworten: Erstens handelt es sich um Knochen ei-

nes kranken oder gesunden Menschen, zweitens war dies ein „moderner“ Mensch

oder ein prähistorisches Wesen, wie bereits 1856 von Fuhlrott und dann von dem

Anatomen und Anthropologen Hermann Schaafhausen aus Bonn vermutet wurde