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Der „Kaukasische Typ“ erweist sich immer noch als osteologisch mehr zutref-

fend als der arische, aber in ihm begegnen sich die verschiedenen Formen der

Schädelkapsel, und wir müssen zufrieden sein, wenn es uns gelingt, sie land-

schaftlich oder, wenn man will, geographisch in eine gewissen Beziehung zu set-

zen“

(25, S 45).

Heute versteht man in der Medizin und Anthropologie unter einem „Kaukasier“

einen indoeuropäischen Menschentyp, zu dem mehr oder weniger hellhäutige

Menschen verschiedenster Ethnie gehören, u. a. Germanen, Slawen, Kelten, Per-

ser, historisch natürlich auch Hethiter und mykenische Griechen. Ich habe diese

speziellen Aspekte, die im 19. Jahrhundert unter der aufkommenden Rassendis-

kussion wichtig wurden, ausführlicher dargestellt. Hier erwies sich Virchow als

ein objektiver Wissenschaftler, der keine Anknüpfungspunkte für rassistische

Interpretationen lässt und letztlich eingesteht, dass sein lebenslanges Schädel-

sammeln nicht zu einer relevanten Theorie führte. Tatsächlich fanden rassistische

Standpunkte in der Deutschen Anthropologie während seiner Lebenszeit keinen

Boden.

4. Schliemanns Buch „Ilios“ enthält im Anhang noch eine Abhandlung Virchows

unter dem Titel „Ärztliche Praxis in der Troas“(23). Für den ärztlichen Leser

ist dieser Abschnitt natürlich von besonderem Interesse. Virchow war 1879 für

mehrere Wochen in Hisarlık und in dieser Zeit der einzige Arzt weit und breit.

Er beschrieb zahlreiche Krankheitsphänomene, Infektionen, speziell Tuberkulose

und Malaria, häufig Blutarmut, die er auch auf das Fasten zurückführte. Hervor-

zuheben ist hier die positive Rolle Schliemanns, der geduldig, was sonst gar nicht

seine Art war, die Klagen der Kranken und die Anweisungen Virchows übersetz-

te. Virchow lobte ihn in seinem Text ausdrücklich dafür. Er schildert:

„Schon am Morgen sammelte sich eine ganze Schar von Hülfesuchenden, Män-

ner, Frauen und Kinder, vor unserer Holzbude. Sie hockten in einer langen Reihe

im Schatten des Wirthschaftsschuppens, der unseren Wohnhütten gegenüberlag,

und warteten geduldig, bis die Reihe an sie kam.“

Diese unmittelbare menschliche Zuwendung der beiden großen Männer halte

ich für ein sehr bemerkenswertes Zeugnis ihres im Laufe der Jahre erworbenen

freundschaftlichen Miteinanders und ihrer humanistischen Gesinnung, trotz der

durch Eitelkeiten Schliemanns provozierten zeitweiligen Verstimmungen.

Wahrscheinlich war dieses Erleben für Schliemann ein wesentlicher Grund, Ru-

dolf Virchow auch als Arzt und Berater in sehr persönlichen Dingen zu akzeptie-

ren, auf ihn zu hören.