
231
Der „Kaukasische Typ“ erweist sich immer noch als osteologisch mehr zutref-
fend als der arische, aber in ihm begegnen sich die verschiedenen Formen der
Schädelkapsel, und wir müssen zufrieden sein, wenn es uns gelingt, sie land-
schaftlich oder, wenn man will, geographisch in eine gewissen Beziehung zu set-
zen“
(25, S 45).
Heute versteht man in der Medizin und Anthropologie unter einem „Kaukasier“
einen indoeuropäischen Menschentyp, zu dem mehr oder weniger hellhäutige
Menschen verschiedenster Ethnie gehören, u. a. Germanen, Slawen, Kelten, Per-
ser, historisch natürlich auch Hethiter und mykenische Griechen. Ich habe diese
speziellen Aspekte, die im 19. Jahrhundert unter der aufkommenden Rassendis-
kussion wichtig wurden, ausführlicher dargestellt. Hier erwies sich Virchow als
ein objektiver Wissenschaftler, der keine Anknüpfungspunkte für rassistische
Interpretationen lässt und letztlich eingesteht, dass sein lebenslanges Schädel-
sammeln nicht zu einer relevanten Theorie führte. Tatsächlich fanden rassistische
Standpunkte in der Deutschen Anthropologie während seiner Lebenszeit keinen
Boden.
4. Schliemanns Buch „Ilios“ enthält im Anhang noch eine Abhandlung Virchows
unter dem Titel „Ärztliche Praxis in der Troas“(23). Für den ärztlichen Leser
ist dieser Abschnitt natürlich von besonderem Interesse. Virchow war 1879 für
mehrere Wochen in Hisarlık und in dieser Zeit der einzige Arzt weit und breit.
Er beschrieb zahlreiche Krankheitsphänomene, Infektionen, speziell Tuberkulose
und Malaria, häufig Blutarmut, die er auch auf das Fasten zurückführte. Hervor-
zuheben ist hier die positive Rolle Schliemanns, der geduldig, was sonst gar nicht
seine Art war, die Klagen der Kranken und die Anweisungen Virchows übersetz-
te. Virchow lobte ihn in seinem Text ausdrücklich dafür. Er schildert:
„Schon am Morgen sammelte sich eine ganze Schar von Hülfesuchenden, Män-
ner, Frauen und Kinder, vor unserer Holzbude. Sie hockten in einer langen Reihe
im Schatten des Wirthschaftsschuppens, der unseren Wohnhütten gegenüberlag,
und warteten geduldig, bis die Reihe an sie kam.“
Diese unmittelbare menschliche Zuwendung der beiden großen Männer halte
ich für ein sehr bemerkenswertes Zeugnis ihres im Laufe der Jahre erworbenen
freundschaftlichen Miteinanders und ihrer humanistischen Gesinnung, trotz der
durch Eitelkeiten Schliemanns provozierten zeitweiligen Verstimmungen.
Wahrscheinlich war dieses Erleben für Schliemann ein wesentlicher Grund, Ru-
dolf Virchow auch als Arzt und Berater in sehr persönlichen Dingen zu akzeptie-
ren, auf ihn zu hören.