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Der Briefwechsel mit zwei Schweizer Akademikern gibt neue Einblicke in das
weit verzweigte Netzwerk, das Schliemann unterhalten hat, und zeigt eine Vielfalt
von fachlichen und privaten Themen auf. Die Lebensumstände der beiden Brief-
partner unterscheiden sich deutlich: Jakob Mähly ist in Basel fest verwurzelt,
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während Eduard von Muralt mit seinen Russlanderfahrungen und großen Reisen
eher dem Kosmopoliten Schliemann verwandt ist. Das spezifisch Schweizerische
ist Schliemann jedoch in pädagogischer Hinsicht wichtig, indem Schweizer Er-
zieherinnen und Gesellschafterinnen seiner Meinung nach über besonders gute
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit in seiner Familie verfügen.
Nicht nur das Thema der Hauslehrerinnen, sondern auch das der Briefsprachen
würde eine eingehendere Untersuchung in größerem Rahmen lohnen. Jakob
Mähly und Eduard von Muralt gehören zu einer recht großen Zahl von Adressa-
ten, mit denen Schliemann altgriechisch korrespondiert hat. Dazu zählten Fach-
kollegen wie Alexander Conze,
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Wilhelm Dörpfeld
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oder Richard Schöne,
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aber auch etwa Schliemanns Gönner Prinz Bernhard von Sachsen-Meiningen
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oder Hermann Haupt,
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der Bruder der erwähnten Erzieherin Sophie Haupt. So-
wohl Eduard von Muralt als auch Jakob Mähly haben aus konkretem Anlass zu
Altgriechisch gewechselt: v. Muralt, um seiner Bewunderung für den Entdecker
des Priamos-Schatzes Ausdruck zu geben,
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Mähly, weil er eine entsprechende
Vereinbarung mit Schliemann getroffen hatte.
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Jedenfalls scheint die intellektuel-
le Herausforderung allen drei Vergnügen zu bereiten. Von Muralt und Schliemann
korrespondieren von 1873 an nur noch auf Griechisch, während es bei Mähly
und Schliemann einigen Wechsel gibt: Sobald es um einen präzisen Anlass geht,
bei dem die Wortwahl wichtig ist, wählen sie deutsch, so im September 1884 bei
der Frage nach Mählys Verwandter
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oder für den Kondolenzbrief zum Tod von
Schliemanns Schwiegermutter im Januar 1885.
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Schliemanns Altgriechisch hat
zu Beginn noch einen gewissen neugriechischen Einschlag, was nicht erstaunlich
ist, da er diese Sprache zuerst erlernt hatte.
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Die Qualität von Schliemanns Alt-
griechisch-Kenntnissen ist kontrovers beurteilt worden; besonders harsch fiel die
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Schliemanns Einladung nach Athen hat er nie Folge leisten können (vgl. Mähly 1891).
67
z.B. Meyer 1958, Nr. 345. 363.
68
z.B. Meyer 1936, Nr. 205; Meyer 1958, Nr. 325.
69
z.B. Meyer 1936, Nr. 105. 106. 117; Meyer 1958, Nr. 115.
70
z.B. Meyer 1958, Nr. 340.
71
BBB 42, 346.
72
s. oben mit Anm. 24.
73
s. oben mit Anm. 43.
74
s. oben mit Anm. 51.
75
Brief vom 29. Januar 1885 (B 96, 73).
76
Vgl. Traill 1995, 25f. 302; Turner 2012, 379–381.