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Diese Konkurrenzlosigkeit führte dazu, dass nicht nur der Mythos seine Wirkung
tat, sondern auch die forschungsgeschichtliche Singularität von Hisarlık in jenem
Raum. Die dort erstmals von Schliemann gefundenen Keramiktypen wurden die
Leitfossile für die Datierung in der Folgezeit entdeckter prähistorischer Siedlun-
gen im westlichen Kleinasien und im Ägäisraum. Das verleiht bis heute Hisarlık
ein Prestige, welches das immer noch existierende Wunschbild einer großen,
glanzvollen Ilios stützt.
Schliemann war zunächst verzweifelt, dass er außerhalb des Burgbereiches mit
seinen Suchgräben und sogenannten Brunnen keine prähistorischen Siedlungs-
schichten finden konnte; aber als dies an wenigen Stellen schließlich doch gelang,
nährte das wieder seinen Optimismus hinsichtlich einer vielleicht doch vorhande-
nen Unterstadt. Dörpfeld und Blegen haben gleichfalls recht systematisch nach
einer solchen gesucht, mussten aber schließlich feststellen, dass es zwar Indizien
für einzelne Gebäude außerhalb der Burg gibt, aber über die Besiedlungs
dichte
und damit über den Charakter der Außen- bzw. Untersiedlung keine zuverlässi-
gen Aussagen gemacht werden können. Dieser Forschungsstand hat sich bis heute
nicht geändert, denn die Tübinger Troia-Grabung hat entgegen ihren Beteuerungen
keine nennenswert über die Ergebnisse von Dörpfeld und Blegen hinausgehenden
Erkenntnisse hinsichtlich der Untersiedlung gewonnen. Nachdem die Fiktion ei-
ner Unterstadtmauer begraben werden mußte und hinsichtlich der Besiedlungs-
dichte zwar tollkühne Behauptungen von 5.000 bis 10.000 Einwohnern in den
Raum gestellt wurden, aber nicht einmal ein Dutzend gleichzeitig existierender
Häuser nachgewiesen werden konnte, konzentrieren sich die Rettungsmanöver
hinsichtlich des Prestiges dieser Grabung auf den sogenannten Verteidigungsgra-
ben. Dieser wäre freilich, selbst wenn er tatsächlich als Annäherungshindernis
gegen Streitwagen interpretiert werden könnte, allenfalls ein Indiz für eine recht
beschränkte Ausdehnung und gar kein Indiz für die Bebauungs
dichte
der Unter-
siedlung.
Mein heutiges Thema soll jedoch nicht die Troia-Debatte, sondern ein Vergleich
der bronzezeitlichen Siedlungen auf dem Hügel Hisarlık mit inzwischen bekann-
ten bronzezeitlichen Siedlungsplätzen im westlichen Kleinasien sein. Deren Er-
forschung hat erst vor wenigen Jahrzehnten begonnen, an den meisten sind nur
Oberflächenuntersuchungen einschließlich geophysikalischer Prospektionen, aber
keine Grabungen durchgeführt worden; und die in Gang befindlichen Grabungen
kann man heute nicht mehr mit den Finanzen und Methoden Schliemanns in des-
sen atemberaubendem Tempo durchführen, sondern sie werden über Jahrzehnte
in geduldiger, mühsamer Kleinarbeit betrieben. Das heißt, die ausgegrabenen Flä-
chen sind bisher unvergleichlich kleiner als jene auf dem Hügel Hisarlık. Wenn
sich dennoch jetzt bereits zeigen lässt, dass es unter ihnen eine ganze Reihe offen-




