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loser Offenheit am 10. 1.1855 seinem Briefpartner Bahlmann.
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Schliemann steigt
nun groß in das Geschäft ein, ordert in London, Amsterdam und Hamburg riesige
Warenmengen und beliefert die zaristische Armee mit Blei, Schwefel und Sal-
peter zur Munitionsherstellung. „Ich gelte hier u. in Moskau als der schlaueste,
durchtriebenste u. fähigste Kaufmann“, schreibt er an seinen Vater.
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Der Krim-
krieg sollte noch über ein Jahr andauern.
In einem Brief an Bahlmann vom 14. 11. 1855 nennt Schliemann erstmals einen
weiteren Grund, der ihn davon abhält, ein Landgut in Mecklenburg zu kaufen:
die Verheiratung mit einer „russischen Dame“ (die Ehe mit Jekaterina Lyshina
war allerdings schon am 24. 10. 1852 geschlossen worden!) und die Geburt sei-
nes Sohnes Sergej, „(meine Frau) ... hängt so sehr an Petersburg und die hiesige
Lebensweise ... ich fürchte sehr, daß meine Frau sich dort unglücklich fühlen
wird.“
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Und in einem späteren Schreiben fügt er hinzu: „Sie will durchaus, ich
soll hier den Handel fortsetzen und fängt immer an zu weinen, wenn ich nur vom
Landleben spreche.“
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Unerklärlich ist, weshalb Schliemann seinen Briefpartner
drei Jahre lang im Glauben lässt, dass er Junggeselle sei und seine erste Frau nicht
erwähnt hat.
Am 30. 3. 1856 wird der Krimkrieg zu Ungunsten Russlands beendet. Die Nie-
derlage war Anlass zu inneren Reformen (Bauernbefreiung, Eisenbahnbau) im
zaristischen Reich, die Bahlmann in seiner Naivität als Vorbild für das rück-
schrittliche Mecklenburg ansieht. So äußert er Schliemann gegenüber am 9. 2.
1858: „Da lobe ich mir Ihres Kaisers Majestät (Zar Nikolaus II. – W. B.) der sein
Volk aufklären will, den Bauern, bisher verkäufliche Sache, zu freien Menschen
macht, und auf Algemeines Wohlergehen bereitet, er wird ein zweiter Peter d.
Große werden ... Unser Großherzog hat gewiß guten Willen, doch ist er durch
Verfassung und Stände ... zu sehr gebunden u. so bleibt hier viel zu wünschen.
Uebrigens werden nicht nur Chausseen gebaut mehr Eisenbahnen projectirt Tele-
graphie ist in Mecklenburg auch Gasbeleuchtung schon in kleinen Städten, kurz
man lebt comfortabler wie früher ...“
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In einem Brief vom 17. 3. 1856 teilt Schliemann seinem Vater und später auch
Bahlmann seine neuen Pläne mit. Wegen der nach dem Friedensschluss zu er-
wartenden Belebung der Importgeschäfte und sinkender Umsätze will er seine
Geschäfte zwei Jahre ruhen lassen und sich auf eine Reise in den Orient und in
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Schliemann, Brief vom 10. 1.1855, in: Meyer BW I, S. 67.
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Schliemann, Brief vom 17. 3. 1856, in: Meyer BW I, S. 81.
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Schliemann, Brief vom 14. 11. 1855, in: Meyer BW I, S. 74.
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Schliemann, Brief vom 20. 1. 1857, in: Meyer BW I, S. 89.
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Bahlmann, Brief vom 9. 2. 1858; s. auch Meyer BW I, S. 91 (Zitat ausgelassen).