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mir geworden sein, denn an Anlagen fehlte es mir nicht, jetzt aber bleibe ich mein
ganzes Leben lang in wissenschaftlicher Hinsicht nur ein Stümper.“
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Trotzdem unterrichtet er auch Bahlmann über seine neuen Lebenspläne, sich nun
ausschließlich der Philologie zu widmen. Zuvor möchte er „einen Theil meines
Capitals in Grundbesitz anlegen ... Am liebsten mögte ich ein Gut an der Ostsee
haben ...“
37
Ein Jahr später teilt er Bahlmann mit, dass er im Juni nach Mecklenburg kommen
wolle, um sich selbst ein Bild von der dortigen Situation zu machen. Schliemann
stellt konkrete Fragen zu Arbeitslöhnen und Preisen in der Landwirtschaft.
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Bahlmann antwortet umgehend, dass die Preise für landwirtschaftliche Produkte
sehr gefallen wären und zu erwarten ist, dass in Bälde Gutsbesitzer und Pächter
ihre Güter aufgeben müssten. Dann wäre für Schliemann die Gelegenheit zur
Erfüllung seines Wunsches gekommen.
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Damit sich Schliemann ein Bild von den Zuständen in Mecklenburg machen kön-
ne, würde er ihm gerne die plattdeutschen Werke Fritz Reuters aus Stavenhagen
zusenden. „Da ich grade bei Mecklbg bin u an Ihre Sprachliebhaberei denke so
dürfte Ihn(en) Interesse gewähren wenn ich Ihn(en) Reuters plattdeutsche Werke
schickte, ich würde es gethan haben wenn ich nicht die Russ. Censur fürchtete
wodurch Sie mögl(icherweise) in Unannehmlichkeiten gekommen wären. Reu-
ter beschreibt sehr
glücklich pikant unterhaltend persönliche u. algemeine Ver-
hältnisse u Begebenheiten, auch Gemüth u Humor wird befriedigt; in ein(em)
Werkchen giebt er ein ergreifendes Bild der traurigen Heimath Verhältnisse d
Mecklbg Volkes, wodurch ein verhältnismäßig nicht allein großer Theil sondern
auch nicht die schlechtern der Arbeiter nach America getrieben werden“ (,,Kein
Hüsing“ von Fritz Reuter erschien 1858 - W. B.).
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Später schickt er ihm mehrere
Bücher Reuters, auch Raabes „Vaterlandskunde“, mit dem Vermerk „kein politi-
scher Inhalt!“. Sie müssen auch angekommen sein, denn Reuters Bücher erhielten
in Schliemanns Arbeitszimmer in seinem Athener Haus einen Ehrenplatz.
Als Bahlmann kurze Zeit darauf erfährt, dass das Gut Harkensee nahe der Ostsee
verkauft werden soll, teilt er dies umgehend Schliemann mit und empfiehlt ihm
den Ankauf. Schliemann interessiert sich und bittet Bahlmann für ihn Verhand-
lungen zum Ankauf einzuleiten, was dieser sofort veranlasst. Die Verkaufsver-
36
Schliemann, s. Anm. 35, 87 f.
37
Schliemann, Brief vom 20. 1. 1857, in: Meyer BW I, S. 89.
38
Schliemann, Brief vom 3. 2. 1858, in: Meyer BW I, S. 91.
39
Bahlmann, Brief vom 9. 2. 1858; s. auch Meyer BW I, S. 91 f.
40
Bahlmann, s. Anm.39; s. auch Meyer BW I, S. 92.