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Wöllert, dessen Frau sich um das Grab von Schliemanns Mutter auf dem Friedhof

in Ankershagen kümmerte, bedankt sich bei Schliemann in einem rührenden

Brief für dessen finanzielle Unterstützung und erbittet von ihm weitere Hilfe aus

seiner gegenwärtigen Notlage: „Endlich mal muß ich meinen Dank doch selbst

schriftlich an Ihnen abstatten, denn aus mancher Noth haben Sie mich geholfen,

die Zeiten sind hier sehr schlecht so daß ich kaum so viel verdiene daß ich mit

Frau und Kinder uns das Leben erhalten ... O jetzt in diesem Jahre ist die Noth

noch um so größer denn seit Weihnachten habe ich keine Kartoffeln mehr im

Hause ... ich weiß nicht mehr wovon ich leben soll, und für uns Eltern ist es im-

mer am schlimmsten denn wenn jetz am Tage meine acht Kinder kommen und

bitten Vater und Mutter gebt uns Brot und Ach: wir haben ja nichts wie uns dann

zu Muthe ist ... Ich muß daher meine Zuflucht zu Ihnen nehmen, helfen Sie mich

aus meiner Noth ...“ Bahlmann bestätigt Schliemann in einem Begleitschreiben,

daß „die Erndte eine der traurigsten seit vielen Jahren gewesen ist ... die Noth ist

groß in Mecklenburg.“

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Schliemann, der sonst Bettelbriefe dieser Art, die er des öfteren erhält, ignoriert,

hilft. Er überweist an Bahlmann für Wöllert zukünftig nicht nur Geld, sondern

er entschließt sich, eine ältere Tochter von Wöllert zu sich nach St. Petersburg in

Dienst zu nehmen. Kurze Zeit danach teilt Wöllert ihm die Geburt eines weiteren

Kindes, des neunten, mit und bittet Schliemann, ihn als Taufzeugen angeben zu

dürfen.

Im Frühjahr 1864 liquidiert Schliemann endgültig seine Handelsgeschäfte. Er

trennt sich von seiner russischen Frau und verlässt Russland. Damit endet auch

der Briefwechsel mit Bahlmann (letzter Brief von Bahlmann an Schliemann am

3. 4. 1864).

Schliemann begibt sich auf mehrjährige Weltreisen u. a. nach China und Japan.

Über diese Reise veröffentlicht er sein erstes Buch in französischer Sprache. Im

Jahre 1866 beginnt er in Paris an der Sorbonne ein Studium und bereitet sich auf

seine neue Tätigkeit als Altertumswissenschaftler vor. 1868 unternimmt Schlie-

mann eine Studienreise nach Griechenland und in die Türkei auf den Spuren

Homers. Diese Reise brachte die entscheidende Wende in Schliemanns Leben.

Durch einen Zufall lernt er den englischen Diplomaten und Amateurarchäologen

Frank Calvert kennen, der Schliemann auf den Hügel Hissarlik an den Darda-

nellen als wahrscheinlichen Ort des homerischen Troja aufmerksam macht, über

dessen Lage zu dieser Zeit unter den Wissenschaftlern noch weitgehende Un-

klarheit herrschte. Ein Jahr später promoviert er an der Universität Rostock, lässt

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Fr. Wöllert, Brief vom 6. 4. 1862; s. auch Meyer BW I, S. 113 f.