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1864 aber erwerbe ich das Altersrecht und werde laut Gesetz Kaufmann erster
Gilde und sobald als ich das sein werde ... werde (ich) die nötigen Verfügungen
treffen, um die endgültige Abwicklung meiner Geschäfte in die Hände eines hie-
sigen Bankiers zu legen“, teilt er am 25. 12. 1861 Graf von Bassi mit.
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Zu dieser Zeit leidet die Bevölkerung in Mecklenburg unter großer Not, wor-
über Schliemann von seiner Schwester Luise in Dargun am 7. 9. 1859 unterrichtet
wird: „Unser armes Vaterland wird in diesem Sommer durch die Cholera furcht-
bar heimgesucht, in manchen Dörfern ist ein Drittel der Bevölkerung der Seuche
erlegen ... Siechenhäuser und Spitäler sind errichtet ... es können so viele Särge
nie fertig werden ...“
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Mecklenburg leidet zusätzlich unter Missernten, besonders die Kraut- und Knol-
lenfäule bei Kartoffeln ruft Hungersnöte unter der Bevölkerung hervor, Bahl-
mann informiert Schliemann darüber. Und diese Not erfährt jetzt Schliemann am
Schicksal eines Menschen, den er aus seiner Kindheit in Ankershagen kennt: am
Schicksal des Schul- und Spielkameraden Friedrich Wöllert, ein Sohn des Dorf-
schneiders Wöllert (verstorben 1856). Letzterem hat Schliemann in seiner Auto-
biographie ein Denkmal gesetzt. Er war einäugig und hatte nur ein Bein, weshalb
die Kinder ihn „Peter Hüppert“ nannten, sie statteten ihm gerne einen Besuch
ab, wie Schliemann berichtete: „Er war ohne jegliche Bildung, hatte aber ein so
wunderbares Gedächtnis, daß er, wenn er meinen Vater predigen gehört hatte, die
ganze Rede Wort für Wort wiederholen konnte. Dieser Mann, der, wenn ihm der
Weg zu Schul- und Universitätsbildung offen gestanden hätte, ohne Zweifel ein
bedeutender Gelehrter geworden wäre, war voll Witz und regte unsere Wissbe-
gier im höchsten Maasse durch seinen unerschöpflichen Vorrath an Anekdoten
an, die er mit bewunderswerthem oratorischen Geschick zu erzählen verstand.“
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An dessen Sohn hatte er weniger gute Erinnerungen, denn in einem Brief von
Schliemann an Bahlmann vom 7. Februar 1861 lesen wir: „In Ankershagen wohnt
ein Schneider namens Fritz Wöllert, der mich als Kind systematisch tyrannisirte
u. mich täglich durchprügelte. Ich glaube, es geht dem armen Kerl schlecht u.
bitte Sie daher, ihm den Werth der einliegenden Rt. 20 gelegentlich zukommen
zu lassen u. gütigst Erkundigung einzuziehen, wie es ihm geht, denn obgleich
ich nicht glaube, durch seine täglichen Züchtigungen tugendhafter oder klüger
geworden zu sein, so thut mir der arme Mensch doch leid ...“
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Schliemann, Brief vom 25. 12. 1861, in: Meyer BW I, S. 111.
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Schliemanns Schwester Luise, Brief vom 7. 9. 1859, in: Meyer BW I, S. 98.
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S. Anm. 23, S. 6.
47
Schliemann, Brief vom 7. 2. 1861, in: Meyer BW I, S. 105 f.