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Eisenbahnreisen geben Schliemann die Möglichkeit, seine Überlegungen dar-

über auszuarbeiten. Auf der Reise nach Antwerpen behauptet er, sei Folgendes

passiert: Eine gut gekleidete Pariserin, die Schliemann für einen Russen hielt,

sagte ihm, dass sie von ihrem sittenlosen Mann entsetzlich behandelt würde und

fragte ihn über russische Sitten aus, worauf er (angeblich) sagte: „Wir betrachten

unsere Frauen als die erhabensten Wesen, als himmlische Geschöpfe und als das

kostbarste Geschenk, das der liebe Gott uns vergönnen könnte ... wir verehren

unsere Frauen wie Göttinnen.” Eine verkürzte Variante dieses Gespräches wird

im Zug nach Köln in Gegenwart von „deux jolies petites” inszeniert. Solche Epi-

soden deuten an, dass die sentimentalen, in Schliemanns Lieblingsbüchern zum

Ausdruck gebrachten Wunschbilder, zu jener Zeit ein wichtiger Bestandteil sei-

ner Selbstidentifikation waren.

In dem Tagebuch von 1846 registrierte Schliemann auch seine Besuche und Ge-

schäftskontakte in der Finanzwelt und mit der Textilindustrie, seine Eindrücke

von Sehenswürdigkeiten sowie Zaubershows und Theater- bzw. Opernauffüh-

rungen während seines Pariser Aufenthaltes. Den Abschluss des nach seiner

Rückkehr noch auf Französisch verfassten Berichtes bildet die Beschreibung ei-

ner St. Petersburger Zirkusvorstellung, worin er geflohen ist, um sich von dem

Elend und arbeitsbedingten Stumpfsinn abzulenken.

Nach der Rückkehr nach Russland im Frühjahr 1847 folgten für Schliemann Jah-

re von intensiven geschäftlichen und persönlichen Tätigkeiten. In diesem Zeit-

raum ist Vielerlei geschehen: der Tod eines Bruders, der Aufenthalt in Kalifor-

nien, sein (unglückliches) Eheleben, der Krimkrieg und der Konjunktureinbruch

in der Nachkriegszeit. Während dieser Zeit (bis zur Mitte der 60er Jahre) wurde

Französisch von Schliemann ständig benutzt. Viele Briefe sind mit seinen Ge-

schäftsinteressen verbunden: sie sind an Niederlassungen der Schröderschen Fa-

milienbetriebe in Amsterdam, Le Havre und New Orleans sowie andere Koloni-

alwarenhändler in Holland, Belgien, Frankreich, der Türkei, Amerika und Indien

gerichtet.

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Vom Krimkrieg an tauchen weitere Ansprechpartner auf: Speditio-

nen im Ostseeraum, ein Papierhersteller in Köln und einige Adressaten in Itali-

en.

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Einige in Russland ansässige Ansprechpartner, wohnhaft in St. Petersburg,

9

B. H. Schröder & Co., Anth. Schroder & Co., Imer Bros. & Castelnau, M. Fournier, P. Labarraque

& Co., G. Rosenlecher, Wanner Langer & Co., Jacob van Lennep & Co., Oliva & Casella, u.

Schoene Kilburn & Co., u. a. (näheres dazu in der Datenbank der Athener Gennadius Library).

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Z. B. Gustave u. Jacob Adelson (Kowno), A. Fellinger & Co. (Köln), Ferd. Baller & Co. (Messina),

Meuricoffre Sorvillo & Co. (Neapel).