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Schliemann und Frankreich
Stefanie A. H. Kennell
Trotz Schliemanns Beherrschung der französischen Sprache, seines Aufenthaltes
in Paris und seiner vielen auf Französisch veröffentlichten Bücher ist bisher sehr
wenig über seine Beziehungen zu Frankreich geschrieben worden. Diese Tatsa-
che ist ziemlich bemerkenswert, weil das Land und die Sprache von entscheiden-
der Bedeutung für seine geistige Entwicklung waren. Auf Französisch gibt es von
Olivier Masson nur einen Artikel zu diesem Thema, der sich auf Schliemanns
veröffentlichte Texte stützt, d. h. seine eigenen autobiographischen Bemerkun-
gen und die von Ernst Meyer gekürzte Auswahl der Briefsammlung.
1
Meyers
zweibändiger
Briefwechsel
enthält nur neun in Frankreich ansässige Briefpartner
(von insgesamt 117), von denen einer Schliemanns Halbbruder Ernst ist. Bereits
vor 1866, als Schliemann nach Frankreich gezogen war, beträgt die tatsächliche
Anzahl von Pariser Briefpartnern mehr als 20, während es insgesamt fast 1000 in
Paris geschriebene Briefe bis zum Jahre 1871 gibt.
2
Es wird deutlich, dass Schlie-
manns Interesse für alles Französische von Meyer in seiner Briefauswahl nicht
ausreichend berücksichtigt worden ist.
Seit dem Jahre 2000 arbeitet die Amerikanische Schule zu Athen daran, die Zu-
gänglichkeit zu dem „Heinrich Schliemann and Family Papers”-Archiv in der
Gennadius Library zu verbessern.
3
Die Arbeiten an der Datenbank von Schlie-
manns Briefwechsel kommen gut voran, auch die digitale Bildbearbeitung sei-
ner vielen Tage- und Kopierbücher. Damit wird die zukünftige Auswertung des
Schliemann-Nachlasses wesentlich erleichtert.
Es ist also höchste Zeit, Schliemanns vielfältiges Engagement in Frankreich zu
erforschen, ausgehend von seinem Interesse für das Französische. Zu Beginn
werde ich kurz seine Kenntnis und Nutzung der französischen Sprache als Aus-
drucksträger betrachten, dann seine Beziehungen zu französischen Menschen,
Orten und Sachen bis zum Jahre 1871. Wie gezeigt wird, ist der zielstrebige junge
1
O. Masson, Henry Schliemann à Paris et ses amis français. In : Dossiers d’Archéologie 206
(1995), 28-39.
2
E. Meyer (Hrsg.), Briefe von Heinrich Schliemann (Berlin 1936), Heinrich Schliemann
Briefwechsel I 1842–1875) (Berlin 1953).
3
Ich danke Frau Dr. Natalia Vogeikoff-Brogan, Archivarin der American School of Classical
Studies at Athens, sowohl für die Möglichkeit, an diesem Projekt jahrelang mitzuarbeiten, als
für die Erlaubnis, diese Ergebnisse meiner Forschungen zu veröffentlichen. Besonderen Dank
auch an Herr Dr. Wilfried Bölke für seine wertvolle Sprachhilfe beim Überprüfen dieses Textes.




