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wären die Besten in der Welt. Sie hätten nur einen Nachteil, sie möchten nicht
einen Ausländer, einen Deutschen, heiraten.
In seinem Reisejournal schreibt Schliemann über alles, was er sah und unternahm.
Wenn ich mir den Inhalt aber genauer ansehe, wird mir klar, dass ihn zu dieser
Zeit vor allem die Sehnsucht nach einer russischen Frau bewegt. Es entsteht der
Eindruck, dass er im vorangegangenen Jahr durch eine russische Frau abgewiesen
worden ist – weil er ein Ausländer war. Ob Schliemann noch immer die Hoffnung
hatte, dass er sie noch erobern konnte oder ob er diese Erfahrung generalisierte, ist
unklar. Durch das ständige Wiederholen, wie gut Russland sei und wie gerne er ein
Russe war, machte er seinem Publikum klar, wie wichtig dieses Land für ihn ist.
Er zeigt ihm, dass er zwar ein Ausländer, aber fast eine Russe ist. Damit tut er sein
Bestes, um für eine russische Frau attraktiv zu werden.
Wenn er mit einer französischen Dame sprach, erklärte er ihr, dass die Russen
ganz anders wären als die Franzosen. Die russischen Männer sehen ein moralisches
Leben im Kreis der Familie als das größte Glück an. Das Ziel des Lebens eines
russischen Mannes wäre das Glück seiner Frau.
Und dies bringt uns zurück zu dem großen Thema der Diskussion der neunziger
Jahre. Wie sollen wir Schliemanns Autobiografie in seinem Buch „Ilios“ lesen?
Wie sollen wir zum Beispiel die zu Beginn benutzten Zitate interpretieren? Was
lehrt uns dieses Reisejournal über seine Jugendliebe Minna Meincke (1821-1910)?
„Kaum hatte ich ... mich dem Hause B. H. Schröder & Co. unentbehrlich gemacht
und mir dadurch eine ganz unabhängige Lage geschaffen, als ich unverzüglich an
... C. E. Laue in Neu-Strelitz schrieb ... und ihn bat, sogleich in meinem Namen
um Minna‘s Hand anzuhalten. Wie gross war aber mein Entsetzen, als ich ... die
betrübende Antwort erhielt, dass sie vor wenigen Tagen eine andere Ehe geschlos-
sen habe.“
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Schliemann kam zu spät. Er erzählt uns nicht, wann er umMinnas Hand angehalten
hat, aber das ist einfach zu ermitteln. Minna heiratete Friedrich Richers (1803-
1882) am 25. November 1849.
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Schliemann muss also seinen Heiratsantrag ir-
gendwann im November 1849 gemacht haben.
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Schliemann 1892, 17.
19
Bahlcke 1996, 19. „Im Verlauf des Jahres 1846 gab sie dem 18 Jahre älteren Gutspächter Friedrich
Richers aus Hartwigshof ihr Jawort, und nur durch den plötzlichen und unerwarteten Tod des Vaters
mußte die Hochzeit dann um ein Jahr verschoben werden ... Nach einem Dispens vom Aufgebot
durch die großherzogliche Kammer in Schwerin vom 23. Oktober hatte sie am 25. November 1849
in der alten Dorfkirche zu Peckatel mit Friedrich Richers den Ehebund besiegelt ...“




