Background Image
Previous Page  171 / 240 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 171 / 240 Next Page
Page Background

171

wären die Besten in der Welt. Sie hätten nur einen Nachteil, sie möchten nicht

einen Ausländer, einen Deutschen, heiraten.

In seinem Reisejournal schreibt Schliemann über alles, was er sah und unternahm.

Wenn ich mir den Inhalt aber genauer ansehe, wird mir klar, dass ihn zu dieser

Zeit vor allem die Sehnsucht nach einer russischen Frau bewegt. Es entsteht der

Eindruck, dass er im vorangegangenen Jahr durch eine russische Frau abgewiesen

worden ist – weil er ein Ausländer war. Ob Schliemann noch immer die Hoffnung

hatte, dass er sie noch erobern konnte oder ob er diese Erfahrung generalisierte, ist

unklar. Durch das ständige Wiederholen, wie gut Russland sei und wie gerne er ein

Russe war, machte er seinem Publikum klar, wie wichtig dieses Land für ihn ist.

Er zeigt ihm, dass er zwar ein Ausländer, aber fast eine Russe ist. Damit tut er sein

Bestes, um für eine russische Frau attraktiv zu werden.

Wenn er mit einer französischen Dame sprach, erklärte er ihr, dass die Russen

ganz anders wären als die Franzosen. Die russischen Männer sehen ein moralisches

Leben im Kreis der Familie als das größte Glück an. Das Ziel des Lebens eines

russischen Mannes wäre das Glück seiner Frau.

Und dies bringt uns zurück zu dem großen Thema der Diskussion der neunziger

Jahre. Wie sollen wir Schliemanns Autobiografie in seinem Buch „Ilios“ lesen?

Wie sollen wir zum Beispiel die zu Beginn benutzten Zitate interpretieren? Was

lehrt uns dieses Reisejournal über seine Jugendliebe Minna Meincke (1821-1910)?

„Kaum hatte ich ... mich dem Hause B. H. Schröder & Co. unentbehrlich gemacht

und mir dadurch eine ganz unabhängige Lage geschaffen, als ich unverzüglich an

... C. E. Laue in Neu-Strelitz schrieb ... und ihn bat, sogleich in meinem Namen

um Minna‘s Hand anzuhalten. Wie gross war aber mein Entsetzen, als ich ... die

betrübende Antwort erhielt, dass sie vor wenigen Tagen eine andere Ehe geschlos-

sen habe.“

18

Schliemann kam zu spät. Er erzählt uns nicht, wann er umMinnas Hand angehalten

hat, aber das ist einfach zu ermitteln. Minna heiratete Friedrich Richers (1803-

1882) am 25. November 1849.

19

Schliemann muss also seinen Heiratsantrag ir-

gendwann im November 1849 gemacht haben.

18

Schliemann 1892, 17.

19

Bahlcke 1996, 19. „Im Verlauf des Jahres 1846 gab sie dem 18 Jahre älteren Gutspächter Friedrich

Richers aus Hartwigshof ihr Jawort, und nur durch den plötzlichen und unerwarteten Tod des Vaters

mußte die Hochzeit dann um ein Jahr verschoben werden ... Nach einem Dispens vom Aufgebot

durch die großherzogliche Kammer in Schwerin vom 23. Oktober hatte sie am 25. November 1849

in der alten Dorfkirche zu Peckatel mit Friedrich Richers den Ehebund besiegelt ...“