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Quelle für die Schliemannforschung waren, genügen – wie bereits angedeutet –

in keiner Weise editorischen Kriterien. Hinzu kommt, dass die bisher vorgelegten

Materialien sehr verstreut publiziert wurden,

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so dass es mühsam ist, sich die

nötigen Originalquellen in den verschiedenen Veröffentlichungen zusammenzu-

suchen. Eine zügige Erschließung der Quellen unter gezielten Fragestellungen

wird dadurch erheblich erschwert. Ein großangelegtes, internationales Editions-

projekt unter Beteiligung verschiedener Wissenschaftler wäre aus diesem Grund

mehr als wünschenswert. Ein solches Projekt hätte mehrere Vorteile: Es führte

zu einer systematischen Erschließung des Nachlasses in Athen, die meiner An-

sicht nach bis heute fehlt, zu einer einheitlichen Transkription und Edition der

Quellen – auch solcher Sprachen, die bislang weitgehend nicht ediert vorliegen

–, zu einer systematischen inhaltlichen Erschließung der auch in digitaler Form

vorliegenden Edition über verschiedene Register. Es verbesserte darüber hinaus

die Quellenlage ungemein und könnte damit auch neue Ideen für zukünftige For-

schungen liefern. Zugegebenermaßen wäre dies ein Projekt, das in finanzieller

Hinsicht nicht nur von einer Institution und auch nicht innerhalb von zwei, drei

Jahren geleistet werden kann. Zudem bedürfte es einer langfristigen Finanzie-

rung und Perspektive sowie der Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche

(z. B. Altertumswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Wissenschaftsgeschichte,

Wirtschaftsgeschichte, Biographieforschung) und Institutionen. Mit der Erschlie-

ßung und Edition der Quellen ist es jedoch nicht getan – dazu gehört auch ihre

Erhaltung. Da die Materialien inzwischen mehr als 150 Jahre alt sind, ist eine

Digitalisierung der Quellen unerlässlich. Die Athener Gennadius Library hat da-

mit bereits begonnen und einige Tagebücher und Copybooks digitalisiert und frei

zugänglich ins WWW gestellt.

Bis heute weitgehend unbeachtet und unerforscht ist Schliemanns geschäftliche

Korrespondenz. Aus wirtschaftshistorischer Sicht dürfte der Mecklenburger ein

interessantes Forschungsobjekt sein, schließlich schaffte er in kürzester Zeit den

Aufstieg vom Handlungsgehilfen zum erfolgreichen Kaufmann, der auch vor

risikoreichen Geschäften nicht zurückschreckte. In kurzer Zeit häufte er sich

ein Millionenvermögen an. Von Interesse dürften auch seine zahlreichen Ge-

schäftsbeziehungen sein, die gewiss weiter Aufschluss über Form, Struktur und

Funktion geschäftlicher Verbindungen im 19. Jahrhundert geben dürften – dies

umso mehr als Schliemann im zaristischen Russland lebte und von dort aus sei-

nen weltweiten und äußerst gewinnbringenden Handel betrieb. Im Nachlass be-

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Neben den Meyerschen Briefeditionen siehe z. B. auch Stoll (1986), Herrmann/Maaß (1990),

Andree (1991) und Zavadil (2009). Darüber hinaus finden sich einige Quellen in Biographien

(z. B. Ludwig 1932, allerdings ohne Quellenangaben; Richter 1992) sowie in zahlreichen

Beiträgen in Zeitschriften und Sammelbänden.