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Seite 94 Informationsblatt 32 Dezember 2020

Aus der Presse

Das Jahr 2020 ist ein Beetho-

venjahr. Da es von der Coro-

na-Krise überschattet wurde

und die Masse der geplanten

Veranstaltungen ausfiel, soll

es bis September 2021 verlän-

gert werden. Tatsache bleibt,

dass der 250. Geburtstag des

für mich und andere größten

Komponisten aller Zeiten am

16. Dezember zu feiern ist.

Bekanntermaßen steht der

Geburtstag nicht hundertpro-

zentig fest. Es könnte auch der

17. Dezember sein, an dem

Ludwig van Beethoven getauft

wurde. Der Meister starb 1827,

sodass bereits in sieben Jahren

wieder ein Jubiläum ansteht.

2022 wird das Schliemann-

jahr sein. Am 6. Januar jährt

sich der Geburtstag des be-

rühmten in Mecklenburg auf-

gewachsenen Kaufmanns und

Forschers zum 200. Mal. Viele

Aktivitäten sind geplant. So

werden die Heinrich-Schlie-

mann-Gesellschaft und das

Museum in Ankershagen mit

dem Heinrich-Schliemann-In-

stitut der Universität Rostock

eine große internationale

Konferenz ausrichten.

Die Lebenszeiten Beetho-

vens und Schliemanns über-

schneiden sich von 1822 bis

1827. Ob Schliemann, der

1890 starb, etwas von Beetho-

ven „gehört“ hatte oder seine

Musik mochte, ist mir nicht

bekannt. Der oberflächlich

gesehen einzige Bezugspunkt

beider ist, dass bei einer Ge-

denkveranstaltung für Schlie-

mann im März 1891 im Ber-

liner Rathaus der Marsch aus

Beethovens Schauspielmusik

zu „Die Ruinen von Athen“

gespielt wurde.

Begeisterung für antike

Dichter bei beiden Männern

Als Liebhaber der Musik Beet-

hovens und seiner gesam-

ten Persönlichkeit sowie als

Schliemannforscher habe ich

mir seit Jahren das Vergnü-

gen gemacht, nach Gemein-

samkeiten zu suchen. Es ist

erstaunlich, wie viele Punkte

da zutage treten.

Beide sind „wiedergeboren“

(Brüder mit den Rufnamen

„Ludwig“ beziehungsweise

„Heinrich“ starben), hatten

ein ambivalentes Verhältnis

zur Mutter einerseits und zum

Vater andererseits, begeister-

ten sich für Homer und ande-

re antike Dichter. Beide plag-

te ein schweres Gehörleiden.

Beethoven und Schliemann

hatten mit Damen des Na-

mens Brunswick und mit der

schwedischen Sängerin Jenny

Lind „zu tun“, hinterließen

einen gewaltigen Nachlass

und überstanden ihre Entmy-

thologisierung. Hier soll nur

ein Punkt interessieren: Jenny

Lind, deren 200. Geburtstag in

diesem Jahr gefeiert wird.

Johanna Maria (Jenny)

Lind war eine schwedische

Sängerin, die am 6. Oktober

1820 in Stockholm geboren

wurde. Sie galt als führende

Koloratursängerin ihrer Zeit

und wurde die „Schwedische

Nachtigall“ genannt. Mit

zehn Jahren trat sie das erste

Mal auf. Ihr Operndebüt gab

sie als Agathe in Webers „Frei-

schütz“ 1838 in Stockholm.

1844 ging sie nach Berlin,

später nach Hannover, Ham-

burg, Frankfurt amMain und

Darmstadt. 1845 gastierte sie

im Leipziger Gewandhaus

unter Mendelssohn. Hier und

anderswo feierte sie große

Erfolge. Auch Queen Victoria

und Fryderyk Chopin waren

von ihr begeistert. Es heißt so-

gar, dass sie gern diesen Kom-

ponisten geheiratet hätte.

Henriette Sonntag, die

1824 bei der Uraufführung

von Beethovens „Neunter“

die Sopran-Partie sang, be-

zeichnete Jenny Lind später

als „erste Sängerin der Welt“.

Johann Strauß (Sohn) widme-

te ihr den Walzer „Lind-Ge-

sänge“. Viele Bewunderer

wären noch zu nennen. Ver-

gessen werden darf nicht,

dass die mit hohen Gagen

Ausgezeichnete viel Geld für

wohltätige Zwecke spendete.

Von 1850 bis 1852 tourte

sie durch die USA. Und damit

nähern wir uns Schliemann.

1852 heiratete Jenny Lind in

Boston den deutschen Kom-

ponisten, Dirigenten und

Pianisten Otto Goldschmidt

(1829-1907). Und damit nä-

hern wir uns Beethoven.

Nach ihrer Rückkehr aus

den USA wohnte sie in Dres-

den, ab 1858 in London. Sie

bekam zwei Söhne und eine

Tochter. Konzerttourneen

führten sie nach Deutschland,

Österreich und in die Nieder-

lande. Ihr letzter öffentlicher

Auftritt fand 1883 bei einer

Wohltätigkeitsveranstaltung

statt, 1887 starb sie in Mal-

vern in Großbritannien.

Zahlreich sind die Eh-

rungen nach ihrem Tod.

Straßen und Einrichtungen

wurden nach ihr benannt.

Das erste Opernhaus in San

Francisco hieß „Jenny Lind

Opera House“. Ihr Leben

wurde mehrmals verfilmt.

Auch in Theodor Fontanes

Roman „Der Stechlin“ sind

Jenny Lind und ihr Ehemann

Gegenstand einer Plauderei.

Die Geschichte von

Beethovens Testament

Welche „Beziehungen“ hat-

te die große Sängerin und

vergessene Jubilarin zu den

beiden berühmten Jubilaren?

Persönlich keine. Aber wir

können sie trotzdemmit bei-

den in Verbindung bringen.

Einen Tag nach Beetho-

vens Tod fanden dem Kompo-

nisten nahestehende Männer

dessen persönlichste Doku-

mente: den Brief an die „Un-

sterbliche Geliebte“ und das

sogenannte Heiligenstädter

Testament. Dies ist ein Brief

an seine Brüder vom Oktober

1802, der wohl nicht abge-

schickt wurde. In ergreifen-

der Weise beginnt Beethoven:

„O ihr Menschen die ihr mich

für feindselig störisch oder

Misantropisch haltet oder

erkläret, wie unrecht thut

ihr mir ihr wißt nicht die

geheime urßache von dem;

was euch so scheinet, … “.

Dann erzählt er, dass sein

Gehör ständig abnimmt. Er

will es noch nicht öffentlich

machen. Deshalb zieht er sich

aus der Gesellschaft zurück.

Wie die Krankheit ausgeht,

ist bekannt. Ab 1819 kann

sich Beethoven nur noch

über „Konversationshefte“

mit seinen Mitmenschen ver-

ständigen.

Das „Heiligenstädter Testa-

ment“ wurde 1827 dem Vor-

mund von Beethovens Neffen

Karl (1806-1858) übergeben,

der es seiner Mutter aushän-

digte. Als diese in finanzielle

Not geriet, verkaufte sie das

wertvolle Schriftstück 1842

an den berühmten Geiger

Heinrich Wilhelm Ernst. Der

schenkte es als Dank für ein

gemeinsames Konzert 1855

Jenny

Lind-Goldschmidt

und ihrem Mann. Otto Gold-

schmidt schrieb 32 Jahre spä-

ter, ein Jahr nach dem Tod

seiner Frau, aus London nach

Hamburg: „Ich habe hiermit

das Vergnügen, der Hambur-

ger Stadtbibliothek das Auto-

graph von L. van Beethoven’s

Testament aus dem Jahre

1802 als bleibendes Eigen-

tum zu überweisen.“ Er be-

tont, dass die Schenkung

ein Wunsch von Jenny sei.

Das Dokument befindet sich

heute in der Staats- und Uni-

versitätsbibliothek Hamburg.

Konzertbesuch

Schliemanns in Amerika

Kommen wir zum berühmten

mecklenburgischen Pfarrers-

sohn. Schliemann besuchte

laut Eintrag in seinem Ame-

rika-Tagebuch im Mai 1852

eines der drei Abschieds-

konzerte der Sängerin. Er

schreibt: „Ich besuchte mei-

nen Freund, mit dem ich

abends zum Abschiedskon-

zert von Jenny Lind in der Me-

tropolitan Hall ging. Die gefei-

erte Sängerin hat kürzlich in

Boston, Massachusetts, einen

Juden namens Goldschmidt

geheiratet, einen Pianisten

aus Hamburg, der aus diesem

Grunde den christlichen Glau-

ben angenommen hat. Jenny

Lind gedenkt am 29. Mai mit

dem Dampfer ‚Atlantic’ nach

Europa abzureisen ... Jenny

Lind hat ein Einkommen von

20000 Pfund im Jahr.“

Mit dieser Summe wäre

sie heute Millionärin. Das

Programm war bei allen drei

Konzerten gleich: Werke von

Cherubini, Bellini, Mendels-

sohn, Rossini, Meyerbeer und

anderen. Auch Ehemann Gold-

schmidt trat als Pianist und

Komponist in Erscheinung.

Dr. Reinhard Witte ist Vorsitzender

der Heinrich-Schliemann-Gesell-

schaft und leitete das Schliemann-

Museum in Ankershagen von 2003

bis 2017.

Für zwei berühmte Männer – Ludwig van Beethoven und Heinrich Schliemann – lassen sich

Verbindungen zu einer heute vergessenen Jubilarin aufzeigen. An den 200. Geburtstag

der Sopranistin Jenny Lind erinnert Reinhard Witte mit sehr persönlichen Worten.

Die erste Sängerin der Welt

RoTheMühl.

Spätestens, wenn

sich ein selbst gefundenes

Fossil als Keramikscherbe

oder ein interessantes Sand-

steingeröll als Betonstück

entpuppt, ahnt man, dass

nicht jeder Stein ein reines

Naturprodukt ist. Ob es sich

bei dem in Regenbogenfarben

schillernden Fund vom We-

gesrand wirklich um einen

Opal handelt? Bei genauerem

Betrachten zeigt sich: Auch

dieser „Stein“ ist das Ergeb-

nis menschlichen Tuns – ein

Stück Glas, aber wahrschein-

lich über hundert Jahre alt!

Obwohl es sich bei solchen

Funden nicht um Edelsteine

handelt, sind es kulturhisto-

risch interessante Stücke.

Oft abseits der Ortschaf-

ten, auf einem Acker oder im

Wald entdeckt, erinnern sie

an Glashütten, die in unserer

Region vielerorts zu finden

waren. Im 17. und 18. Jahr-

hundert zählten Mecklen-

burg und Pommern zu den

Zentren der Glasproduktion

in Deutschland. Die riesi-

gen Wälder mit scheinbar

endlosem Holzreichtum so-

wie reiche Vorkommen von

Quarzsand und Mergel lock-

ten Glasmacher aus Böhmen,

Franken und Thüringen an.

Besonders nach dem Drei-

ßigjährigen Krieg (1618-1648)

waren große Teile unserer

Region fast menschenleer.

Acker lagen brach und ver-

wilderten. Durch das Ver-

pachten von Land und den

Bau von Glashütten ergaben

sich für den Adel neue Ein-

nahmequellen. Der große

Holzbedarf der Hütten führ-

te zu Kahlschlägen, die zu

neuem Ackerland wurden.

Allerdings waren die Res-

sourcen nicht grenzenlos. So

benötigte man für die Her-

stellung von nur einem Kilo

Glas etwa einen Festmeter

Holz. Der Jahresproduktion

einer Glashütte fielen damit

rund 20 bis 30 Hektar Wald

zum Opfer.

Da nach einigen Jahren der

Wald im Umfeld der Hütte

verschwunden war, existier-

ten die meisten Produktions-

stätten nur wenige Jahr-

zehnte an einem Standort.

Oft abgelegen, fernab grö-

ßerer Ortschaften, wurden

die Standorte bald von der

Natur zurückerobert. Heute

erinnern alte Orts- und Flur-

namen an das einst florieren-

de Gewerbe. Und natürlich

Bodenfunde von Glas- und

Schlackeresten.

Auffällig ist die bunte,

opalisierende Patina auf der

Oberfläche mancher Glas-

klumpen. Dadurch ähneln sie

Opalen, den begehrten Edel-

steinen. Die hellblauen und

grünen Schlackereste, die

ebenfalls an ehemaligen Hüt-

tenstandorten zu finden sind,

ähneln anderen Schmuckstei-

nen. Ihre Färbung, ihre Härte

und der Glanz haben schon

manchen getäuscht. Was wie

ein wertvoller Türkis, Chryso-

pras oder Heliotrop aussah,

erwies sich auch nur als Ab-

fall der einstigen Glasproduk-

tion. Trotzdem gibt es auch

für solche Funde Liebhaber.

Ein Opal, ein Türkis oder nur Glas?

Wunderschön anzusehen

sind manche Funde vom

Acker oder aus dem Wald.

Sie kommen aus Glashütten.

Hartwig K. Neuwald

Von

Farbig schillert die Oberfläche des Glases.

FOtO: H. NeuWALd

der Komponist Ludwig van

Beethoven um 1820

Jenny Lind (1820-1887), eine herausragende Koloratursängerin, wurde die „Schwedische Nachtigall“

genannt. Sowohl zu Beethoven als auch zu Schliemann gibt es Bezüge.

RepROS (3): ReiNHARd Witte

der troja-entdecker

Heinrich Schliemann 1877

Seite 22

Montag, 12. Oktober 2020

Heimat

NK, MüritzZeitung 12.10.2020, S.22