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Informationsblatt 32 Dezember 2020
Beiträge und Berichte
Briefen wieder aufgenommen, aus denen das Bild eines zu-
nehmend beschäftigten Schliemann hervorgeht.
Nach einer weiteren Unterbrechung von fünf Jahren schlossen
zwei Briefe aus dem Jahr 1885 die Korrespondenz zwischen
den beiden Gelehrten ab. Im ersten berichtete Schliemann Ni-
colucci kurz und bündig über Neuigkeiten der Ausgrabungen
in Tiryns, während er im zweiten am 23. April Nicolucci in ei-
nem distanzierten Ton mit dem Titel eines Professors ansprach
und ihn über seine Verleihung der Goldmedaille der Künste
und Wissenschaften, am 8. Juni in London durch Königin
Victoria informierte. (Fedele 1985b).
Im Dezember 1878 erhielt Nicolucci von Schliemann die von
ihm gewünschte Sammlung trojanischer Artefakte. Alles be-
gann ungefähr zwei Jahre zuvor, als Nicolucci während eines
Besuches Heinrich Schliemann seinen „Schatz“ zeigte (Fedele
1985b). Die Objekte in der Nicolucci-Sammlung waren denen
von Schliemann in den trojanischen Ausgrabungen gefundenen
sehr ähnlich. Deshalb bot Schliemann an, ihm einige Exempla-
re zu schicken. Die Objekte wurden im anatolischen Hissarlik
am Eingang zu den Dardanellen gefunden, wo nach der klas-
sischen Tradition Troja, das alte Ilium novum der Römer, lag.
Chronologisch sind sie nicht dem Troja der homerischen Helden
zuzuschreiben, sondern „stammen aus den Ausgrabungen der
unteren Schichten Trojas“, der Phasen I und II, wie von Schlie-
mann definiert. Es wird derzeit angenommen, dass Troja II eine
kleine ägäisch-anatolische Stadt der alten Bronzezeit (um 3000
v. Chr.) war, die von einer Bevölkerung der vortrojanischen
Kultur bewohnt wurde, und dass die in die Nicolucci-Samm-
lung gegebenen Funde bescheidene Steinobjekte darstellen, die
täglich von dieser Bevölkerung benutzt wurden (Fedele 1999).
Nach dem erhaltenen Geschenk widmete sich Nicolucci der
Beschreibung der Sammlung und schuf eine seiner besten
wissenschaftlichen Abhandlungen „Waffen und Werkzeuge in
Stein der Troas“, die er am 12. April 1879 auf der Tagung der
Akademie der Physikalischen und Mathematischen Wissen-
schaften vor der Königliche Gesellschaft von Neapel vortrug
(Nicolucci 1879).
In der Publikation präsentiert Nicolucci 43 Objekte verschie-
dener Art, darunter vier Beispiele für Mühlsteine, zwölf ku-
gelförmige Steine, elf Hämmer, sechs Beile, zwei Kampfäx-
te, zwei Beispiele für Hammeräxte, zwei Scharfsteine, einen
rechteckigen Stein, einen polierten Stein, eine Spitzhacke, ein
kleiner Keil. Von jedem Fund gibt es eine kurze Beschreibung,
die Größe, das Rohmaterial, mit dem er hergestellt wurde, und
die Fundtiefe.
Die Schliemann-Sammlung im Anthropologischen Museum
Ungefähr zehn Jahre nach dem Verfassen seiner wissenschaft-
lichen Abhandlung „Waffen und Werkzeuge in Stein aus der
Troas“ gab Nicolucci die Schliemann-Sammlung an die Abtei-
lung für Anthropologie der Königlichen Universität von Nea-
pel ab (Fedele 1999).
Es ist bekannt, dass Nicolucci, nachdem er auf Fürsprache des
damaligen Ministers für öffentliche Bildung, Francesco De
Sanctis, der mit ihm die Universitätsjahre, die Unruhen von
1848 und das Parlament geteilt hatte, 1880 den Lehrstuhl für
Anthropologie erhielt, etwa 1500 Stücke aus seiner Privat-
sammlung der Universität von Neapel nach und nach gespen-
det und verkauft hatte. Ein wesentlicher Teil war von Nicolucci
bereits zwischen 1869 und 1872 an ausländische Institutionen
wie die Harvard University und das Hunterian Museum in
London verkauft worden (Fedele 1985a; Morris 1985). Diese
Erwerbungen bildeten die Grundlage für das Erbe des Anthro-
pologiemuseums, das dem gleichnamigen Kabinett beigefügt
war. Die Verkäufe und Spenden von Nicoluccis Sammlungen
an die Universität von Neapel sind bereits 1885 bis 1896 in den
Aufzeichnungen des Jahresinventars des Instituts für Anthro-
pologie belegt (Fedele 1999).
Die Übergabe der Funde aus der Sammlung Schliemann er-
folgte am 27. Juni 1889. In der handschriftlichen Kaufurkun-
de werden 45 Objekte „aus den Ausgrabungen der unteren
Schichten Trojas durch Dr. Schliemann“ erwähnt. Die Liste
enthält: „4 Mühlsteine aus Granit, 16 Beile in verschiedenen
Qualitäten von Halbedelsteinen, 1 Hammer aus Aphanit, 10
Beile aus Syenit, 8 Kriegsäxte aus Syenit, sechs polierte Beile
aus Diorit, Serpentin usw.“. Aus rechtlichen Gründen tritt Pro-
fessor Giuseppe Petronio, Nicoluccis Schwager, als Verkäufer
pro forma auf. Das 1982 gefundene Dokument befindet sich
derzeit im Historischen Archiv des Anthropologischen Muse-
ums. Im gleichen Akt werden andere Materialien genannt, wie
„prähistorische Objekte aus verschiedenen Orten in Ägypten
und Asien“ (Fedele 1985b und 1999).
Nach dem Tode Nicoluccis wurden die Sammlungen des Mu-
seums bis 1921 von den nachfolgenden Direktoren mit neuen
Funden, Spenden und Einkäufen erweitert. Nach einer anfäng-
lichen Blüte- und Bekanntheitsphase durchlief das Museum
ab den dreißiger Jahren eine schwierige Phase sowohl durch
die Nichtbesetzung des Lehrstuhls für Anthropologie als auch
durch den Zweiten Weltkrieg, in dem die Räumlichkeiten
schwere Verwüstungen erlitten, die letztlich die Sammlun-
gen zerstreuten. Zwischen 1950 und 1970 wurden die meisten
Sammlungen wieder aufgefunden und in Truhen aufbewahrt.
Erst ab 1981 – anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung
des Museums und der Wiederbesetzung des Lehrstuhls für
Anthropologie – wurde ein echtes Programm zur „Wiederent-
deckung“ des Bestandes gestartet, auch im Hinblick auf die
Öffnung der Sammlung für die Öffentlichkeit, die 1994 im
Rahmen der Errichtung des Museumszentrums für Naturwis-
senschaften stattfinden sollte. Der neue Ordinarius für Anth-
ropologie, Francesco Fedele, begann zusammen mit einigen
Mitarbeitern eine rigorose und anspruchsvolle Arbeit zur his-
torischen Aufklärung und Wiederherstellung der Sammlungen
(Fedele 1999). Es wurden zahlreiche Diskrepanzen zwischen
dem offiziellen Inventar und dem Bestand der Sammlungen
festgestellt. Darüber hinaus fehlten bei Hunderten von Expo-
naten Informationen zur Herkunft, zum Anschaffungsjahr und
zu den Kaufmodalitäten sowie zum möglichen Fundkontext.
Leider war der Bestand des Museums noch nie zuvor systema-
tisch katalogisiert worden, obwohl die verschiedenen Direk-
toren diesbezüglich verschiedene Initiativen ergriffen hatten.
Der „Nicolucci-Katalog“, ein weiteres Manuskriptregister,
1889/90 begonnen, der im Museum vorhanden ist, bildete die