Seite 44 Informationsblatt 32 Dezember 2020
Das Museum für Anthropologie des Museumszentrums für
Natur- und Physikwissenschaften der Universität Neapel „Fe-
derico II“ bewahrt ein reiches und vielfältiges Erbe von über
26.000 Funden, die in osteologische, archäologische und eth-
nographische Sammlungen unterteilt sind, und die verschiede-
nen Themen der Anthropologie illustrieren können
(AA.VV.
2012; Abb.1).
Zu den archäologischen Materialien des Museums gehört eine
wertvolle Sammlung von Steinwerkzeugen aus Hissarlik, dem
prähistorischen Troja, gestiftet von Heinrich Schliemann, dem
berühmten Entdecker und Ausgräber von Troja und Mykene,
an Giustiniano Nicolucci, dem Vater der italienischen Anth-
ropologie und Gründer des Museums 1881 (Fedele 1985a und
1999).
Giustiniano Nicolucci und Heinrich Schliemann standen seit
1874 in schriftlichem und wissenschaftlichem Kontakt. Ihre
Beziehung ist Symbol für die zahlreichen internationalen Ko-
operationen, die Wissenschaftler und Sammler aus verschiede-
nen Orten Europas in einem weiten Panorama von Kontakten
etablieren konnten, um die Voraussetzungen für die Geburt der
neuen Wissenschaften des späten 19. Jahrhunderts zu schaffen
(Fedele 1985a). In diesem Zusammenhang war das im Entste-
hen begriffene Museum für Anthropologie in Neapel dank des
Wissenschaftlers Nicolucci für immer mit einer der denkwür-
digsten und legendärsten archäologischen Entdeckungen aller
Zeiten verbunden.
Um zu klären, wie dies geschah, muss auf die Person und die
Arbeit von Nicolucci eingegangen werden. Er wurde am 12.
März 1819 in Isola del Liri in einer wohlhabenden Familie der
ländlichen Bourgeoisie geboren. Nach einer humanistischen
Grundausbildung absolvierte er 1845 im Alter von 26 Jahren
ein chirurgisches Studium in Neapel und übte den in seinem
Heimatland ausgeübten Arztberuf 35 Jahre aus. Zwischen 1850
und 1860 wechselte er aus der Medizin in die Anthropologie.
Er rekonstruierte das Leben der ersten Völker unseres Landes
und beschäftigte sich mit Migrationsphänomenen, Kreuzun-
gen, Veränderungen ihrer Skelette (insbesondere des Schädels)
in Bezug auf Umwelt-, Ernährungs- und Klimabedingungen
(Galgano 1983, Fedele 1985a, Baldi 1988).
In der Folge verwandelte die Liebe zur Heimat und die Neu-
gier für das Studium der lokalen Altertümer Nicolucci in einen
Sammler und dann von einem Sammler in einen Archäologen.
In den sechziger und siebziger Jahren des neunzehnten Jahr-
hunderts verbreitete sich die Leidenschaft für „prähistorische
Dinge“ dank von Ausgrabungen im Zusammenhang mit der
Intensivierung öffentlicher Arbeiten, die überall in Europa und
in Italien ans Licht kamen, insbesondere archäologische Über-
reste (Fedele 1985a). Nicolucci gehörte zu den Pionieren dieses
neuen wissenschaftlichen Interesses und erlangte im archäo-
logischen Bereich einen größeren Bekanntheitsgrad als im an-
thropologischen.
Zu dieser Zeit wurde das Studium der prähistorischen Alter-
tümer nicht nur mit dem Sammeln der Materialien, die das
Land hervorbrachte, konfrontiert, sondern auch mit dem Er-
werb dieser Materialien von Bewohnern und Sammlern. Auf
diese Weise sammelte Nicolucci fast ohne gründliches Wissen
Antiquitäten und menschliche Schädel und wurde zu einem
der Hauptakteure des damaligen Antiquariats (Guadagno
1988). Der Gelehrte nutzte seine Bekanntheit und seine wohl-
habende Stellung und richtete sein eigenes „Wunderkabinett“
ein, das dank Spenden und häufigem Austausch mit Gelehrten
und Sammlern in Italien, Europa und Amerika zunehmend be-
reichert wurde. In Nicoluccis Artikel „Waffen und Werkzeuge
der Steinzeit, Brief an Herrn Luigi Turc aus Palazzolo Castro-
cielo“, einem Freund, der mit seinen Geschenken am meisten
zu Nicoluccis Sammlung beigetragen hat, berichtet er über die
Anzahl der in seinem Besitz befindlichen Materialien: 203
Originale und 21 Gipsabgüsse, also insgesamt 224 Objekte aus
der Steinzeit. Nicolucci beschreibt sich selbst als den glück-
lichsten Mann der Welt, wenn er seiner Sammlung etwas Neu-
es hinzufügen konnte (Nicolucci 1869).
Durch die zahlreichen Aufträge, die vor allem auf seiner
Wertschätzung beruhten, erwarb Nicolucci verschiedene Fun-
de, darunter die polierten Steinartefakte Kalabriens, Proben
aus den neolithischen Hütten des Val Vibrata (Teramo), die
Concezio Rosa (1865-76) entdeckte, Materialien aus den Aus-
grabungen von Angelo Angelucci und Raffaele Centonza im
Gargano und aus denen von Ignazio Cerio in Capri (Fedele
1985a).
Beiträge und Berichte
Die „Sammlung Schliemann“ im Museum für Anthropologie
der Universität Neapel „Federico II“
Abb. 1 – Einer der Ausstellungsräume des Museums für Anthropo-
logie des Museumszentrums für Natur- und Physikwissenschaften
(Komplex des Maximum Jesuitenkollegs)