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Seite 43

Informationsblatt 27 März 2016

Vor genau 140 Jahren war auch Heinrich Schliemann auf Sizilien,

aber mit anderen Erwartungen als wir. Er schrieb am 20. Novem-

ber 1875 aus Castellammare, der Hafenstadt, die imAltertum als

Hafen von Segesta gegründet wurde, an seinen Freund Friedrich

Schlie, den Direktor der Großherzoglichen Kunstsammlungen in

Schwerin: „Ich schrieb Ihnen ja schon daß in Mozia systemati-

sche Ausgrabungen unmöglich sind. … Ebensowenig sind mei-

ne Versuche in Segesta und Paestum glücklich gewesen.“

Auch für den Freitag, 30. Oktober 2015, erhofften die Reise-

teilnehmer nach einer Gewitternacht wieder Besichtigungswet-

ter und wurden nicht enttäuscht. Der Tagesausflug begann mit

einer notwendigen Busrunde um das Hotel, die uns wieder zur

Vollzähligkeit vereinigte. Vorbei an malerischen Küstenstreifen

führte der Weg ins Landesinnere. Der Regen hatte dem Boden

ein unerwartetes Frühlingserwachen entlockt. Schon vom Bus

aus sichtbar, ragen mitten in den Bergen gewaltig der Tempel

und das Theater auf, als einzige Zeugen der ruhmreichen Ver-

gangenheit von Segesta.

Regina aus der Pfalz, eine Wahlsizilianerin, geleitete einen Teil

der Gruppe zum kleinen Shuttlebus, der Besucher zum 415 m

hoch gelegenen Theater bringt. Es wurde im 3. oder 2. Jh. v.

Chr. angelegt, halbkreisförmig in den Fels gehauen und erst

durch die Römer, dann von den Jahrhunderten verändert. Heute

beeindruckt der, in sieben kegelförmige Abschnitte unterteilte,

großartige Treppenbau mit seinem Durchmesser von 63 m durch

den herrlichen Blick über Talkulissen bis zum Monte Erice und

Castellammare del Golfo.

Der Tempel ist vom Parkplatz aus über einen mit Agaven ge-

säumten Treppenweg erreichbar. Von seiner harmonischen

Vollkommenheit überwältigt, half mir eine der einladenden

Bänke beim Betrachten. Unwillkürlich war ich an J. J. Winckel-

manns Gedanken „Edle Einfalt und stille Größe“ zur griechi-

schen Kunst erinnert. Anschaulich und interessant erklärte uns

Reiseleiterin Regina Proportionen, die im Verhältnis 1:7 vom

menschlichen Idealmaß auf Tempel übertragen wurden und vom

gleichseitigen Dreieck, das sich von zwei benachbarten Säu-

lenfüßen zum Kapitell der dazwischenliegenden Säule ergibt.

Der dorische (wie alle sizilianischen) Tempel von Segesta hat

aber eine Reihe von Besonderheiten aufzuweisen. Elymer, nach

der antiken Überlieferung Nachkommen geflüchteter Trojaner,

bauten den Tempel um 426 v. Chr., wahrscheinlich unterstützt

von Athener Baumeistern, außerhalb der Stadt. Er wurde nie

fertiggestellt. Die Kalksteinsäulen sind noch von einer Schutz-

schicht für den Transport umgeben, die beim Herausarbeiten der

Kanneluren beseitigt worden wäre. Steinnasen zum Heben der

Blöcke mit Seilen befinden sich an den Sockelsteinen. Er gehört

zu den am besten erhaltenen Tempeln. Wegen seiner isolierten

Lage wurde er nie als Steinbruch verwendet und behielt seine

statische Festigkeit trotz Erdbeben. Möglicherweise ging es den

Elymern vorrangig um den Bau einer Säulenhalle zur Macht-

demonstration. Der Wissenschaftler Dieter Mertens vom Deut-

schen Archäologischen Institut in Rom hat den Tempel erneut

vermessen. Er fand Abweichungen nur im Millimeterbereich

und konnte durch Vegetationsunterschiede imTempelinnenraum

den Standort eines Megaron lokalisieren. Die für die Untersu-

chung notwendigen Ausgrabungen wurden dokumentiert und

wieder zugeschüttet. Auch ein früheres Dach wurde von ihm

nicht mehr ausgeschlossen.

Dunkle Wolken zogen über der Pispinaschlucht auf, und ich ge-

hörte zu jenen, die schweren Herzens einen trockenen Rückweg

den kompetenten Erklärungen vorzog. Gastronomische Ange-

bote zur Mittagspause ließen uns jenes Fleckchen ausklingend

genießen, auf dem Großartiges mit Einsamkeit verschmolzen

ist.

Beiträge und Berichte

Klassische Musik in Sizilien

(von Dr. Eckhard Budde, Kühlungsborn)

Sizilien war ein Zentrum der mediterranen alten Welt – für den

Sektor der heutigen klassischen Musik gilt das nicht so absolut.

Aber einige Leuchtpunkte europäischer Musikkultur kann der

aufmerksame Beobachter trotzdem ausmachen. In Catania, dem

Start- und Endpunkt unserer Reise, wurde 1801 Vincenzo Bel-

lini geboren, der als Opernkomponist in den 1830er und 1840er

Jahren von Paris aus das europäische Musikleben beeinflusste.

Der junge Verdi und der junge Wagner standen unter seinem

Einfluss. Seine Opern sind in Italien ständig im Repertoire,

in Deutschland seltener. An Bellinis Geburtshaus im Zentrum

Catanias ist eine Gedenktafel angebracht, und im Dom befin-

det sich seit 1876 seine beeindruckende Grabstätte aus weißem

Marmor. Das Teatro Bellini, Catanias 1890 mit Norma eröff-

netes Opernhaus, im Jugendstil errichtet, flankiert die Piazza

Vincenzo Bellini.

Im gut 200 km entfernten Palermo, Siziliens größter Stadt, do-

miniert das Teatro Massimo die Piazza Guiseppe Verdi. Es ist

Italiens räumlich größtes Operntheater. Der kolossale Gebäude-

komplex in historisierender Bauweise 1875-1897 errichtet und

mit Verdis 1893 uraufgeführten „Falstaff“ vier Jahre danach sehr

erfolgreich eröffnet, beeindruckt uns Heutige immer noch mit

seiner riesigen Freitreppe, flankiert von zwei Löwenskulpturen

und sechs korinthischen Säulen. Eine ausdruckstarke Verdi-

Büste an der linken Vorderseite des Hauses weist auf die Verdi-

Tradition des Hauses hin (Wiedereröffnung 1997 mit Nabucco).

Mitglieder der HSG Ankershagen sahen eine beeindruckende

Zauberflöte in Originalsprache mit einem gemischten italie-

nisch-deutschen Sängerensemble. Wir waren begeistert.

Aber auch sonst war Palermo Ziel musikalischer Größen.

Richard Wagner, dessen Ring derzeit im Spielplan des Teatro

Massimo steht, residierte von November 1881 bis März 1882 in

Palermo und schrieb an der Partitur des Parsifal III. Kurz vorm

Verlassen von Palermo skizzierte der junge Renoir den Maestro.

Die Altersbilder Wagners wurden in der Fachwelt berühmt.

Und zuletzt: Im Jahr 1660 wurde Scarlatti sen., Urahn einer

weitverzweigten Musikerfamilie, in Palermo geboren.

Segesta

(von Burkhard Unterdörfer, Thyrow)