Seite 42 Informationsblatt 27 März 2016
Beiträge und Berichte
Sizilienreise II
Hier berichten drei Mitglieder der Heinrich-Schliemann-Gesellschaft von ihren besonderen Reiseeindrücken.
Der vierte Tag auf Sizilien
(von Heidrun Schliemann, Klink)
Palermo – Cappella Palatina
Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant, der Paler-
mo 1885 besuchte, hatte über die Cappella Palatina (Abb. 1)
gesagt, sie sei „die schönste Kirche der Welt, das erstaunlichste
kirchlichste Juwel, das menschlicher Verstand sich überhaupt
vorstellen kann“.
Wen wundert es also, wenn Gino, unser Guide für diesen Tag,
beim Betreten der Kathedrale schmunzelnd fordert: „Also, er-
warten Sie nicht zu wenig!“
Und tatsächlich, den Augen ist nicht zu trauen! Man muss kein
bekennender Christ sein, um von den in Gold und kostbaren
Farben schimmernden Erzählungen aus dem Alten und dem
Neuen Testament überwältigt zu sein. Unzählige Mosaiksteine
an den Wänden und in der Kuppel, bestehend aus farbigem und
mit Blattgold verziertem Glas, schmücken die Palastkapelle,
die zwischen 1132 und 1140 n. Chr. unter König Roger II. als
Hofkapelle des Palazzo Reale (Normannenpalast) von Palermo
erreichtet worden war.
Gino fasziniert seine Zuhörer mit schier unerschöpflichem
Wissen und mit einer Aura, die uns in seinen Bann zieht. So
berichtet er von einem interkulturellen Baukonzept, das eine
Synthese von sarazenischer, byzantinischer und normanni-
scher Kunst darstellt. Der Fußboden mit Mosaiken verlegt, die
unteren Teile der Wände mit wertvollem Marmor verkleidet,
darüber eine wunderschöne Holzdecke! Die Ausschmückung
mit Elementen byzantinischer Sakralkunst und arabischer Pro-
fanarchitektur diente dazu, Untertanen und Gesandte aus allen
drei Kulturen zu beeindrucken und zu verbinden. Der Gedanke
von Toleranz, Freiheit und friedlichem Nebeneinander, damals
für kurze Zeit scheinbar gelungen, wurde zu einem Traum bis
in unsere heutige Zeit.
„STELLA PARIT SOLEM ROSA FLOREM FORMA DE-
COREM“
(Der Stern gebiert die Sonne, die Rose die Blume, die
Anmut die Holdseligkeit)
Dieses wunderschöne Mosaik einer Krippenszene (Abb. 2) ent-
stand um 1150.
Nach sarazenischer Darstellung wurde Jesus in einer Grotte ge-
boren. Bei seiner Geburt vielleicht schon in ein Totengewand
gehüllt, um das Alpha und Omega, den Anfang und das Ende
zu symbolisieren, so Gino. Betrachten wir das Meisterwerk ei-
nes nordafrikanischen Künstlers, die Holzdecke, die Elemente
in Stalaktiten- und Wabenform aufweist, so sind plötzlich auch
wir in einer „Höhle“, sind auch wir aufgenommen in diesen
Kreis von
Α
und
Ω
. Welch Faszination!
Sicherlich zählt die Palastkapelle zu den beeindruckendsten
Sehenswürdigkeiten Palermos, aber insgesamt schließe ich
mich ohne Einschränkungen Johann Wolfgang von Goethe an:
„Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist
der Schlüssel zu allem.“
Abb. 1 – Blick in die Cappella Palatina
Abb. 2 – Das berühmte Mosaik in der Cappella Palatina