Seite 48 Informationsblatt 27 März 2016
Einige von uns hatten das Glück, schon aus dem Flugzeug heraus
zu sehen, wie das Ätna-Massiv den Nordosten Siziliens domi-
niert. Allen anderen ist es spätestens auf dem Weg vom Flugha-
fen in die Stadt aufgefallen. Aus irgendeinem Fenster des Busses
war garantiert der Ätna zu erblicken. Deshalb war es auch nur
natürlich, dass wir gleich am ersten Tag nach der Ankunft dem
großen Berg unsere Aufwartung machten, um die „Berggeister“
für unseren weiteren Aufenthalt gnädig zu stimmen. Von der Be-
friedigung unserer Neugier reden wir nicht!
Nach dem Frühstück schlängelte sich unser Bus zunächst durch
die engen Straßen Catanias. Die größere Herausforderung für
den Fahrer waren jedoch die Gassen direkt am Fuße des Ätna.
Nachdem auch diese gemeistert waren, eröffnete sich ein tolles
Panorama über die Lavafelder zum eigentlichen Bergmassiv, das
zu einem ersten kurzen Zwischenstopp veranlasste. Die weitere
Fahrt führte durch eine pittoresk anmutende Gegend. Je nach Al-
ter der Lavafelder konnte man unterschiedliche pflanzliche Be-
siedlung feststellen: nach etwa 30 Jahren die ersten Pionierpflan-
zen in Form gelblicher oder grüner Matten bis hin zu Büschen
und Bäumen. Auch Reste eines verschütteten Gasthauses fehlten
nicht.
Schließlich gelangten wir zur Talstation in ca. 1950 m Höhe. Bis
hierher dürfen Autos und Busse fahren, und es herrschte entspre-
chend reges Leben und Treiben mit Gaststätten, Parkplätzen und
dergleichen touristischen Einrichtungen. Hier setzte der Bus uns
aus. Ein Teil der Gruppe zog es vor, auf dieser Höhe zu bleiben
und besuchte quasi auf Philipp Dittberners „Wolke 4“ den fuß-
läufig gut zu erreichenden Silvestrikrater, der 1892 bei einem der
zahlreichen Ausbrüche entstanden ist.
Der Rest unserer Gruppe wollte jedoch mehr. So begaben wir uns
zur Talstation der Seilbahn. Leider hatten am Sonntagvormittag
noch einige hundert Italiener und Touristen dieselbe gute Idee
gehabt. Entsprechendes Chaos herrschte an den Kassen. Nach
einer Weile intensiven Studiums italienischen Lebens konnte je-
der individuell oder in Kleinstgruppe eine Kabine der 2004 neu
errichteten Seilbahn entern. Ihre Vorgängerin wurde beim Aus-
bruch 2002 zerstört. Die Fahrt bis auf ca. 2500 m Höhe entschä-
digte uns allerdings. Reste der alten Seilbahn wurden sichtbar,
ein Skilift, von dem man sich Ende Oktober bei Temperaturen
von ca. 24° C am Fuße des Vulkans kaum vorstellen konnte, dass
er jemals in Betrieb sei, streichholzschachtelgroße Menschlein,
die versuchten. auf verschlungenen Geröllpfaden die Höhe zu
gewinnen, und an einigen Stellen erstes zaghaftes Grün, das in
Form von Algen Regen und mineralische Nährstoffe zu verarbei-
ten trachtete. Nebelfetzen waberten um uns herum, deren Bedeu-
tung man aber noch nicht so recht erfasste.
Von der Bergstation hatte man einen wunderschönen Blick auf
die Umgebung und das Meer, der allerdings nicht ganz ungetrübt
war. Die Nebelfetzen stellten sich als einzelne dünne Wolken he-
raus, die sich erfolgreich bemühten, uns die Sicht etwas zu ver-
sperren (Wolke 7?).
DieGeländebusse, dieuns zurBasisstationunseres „Gipfelsturms“
in ca. 2800 m bringen sollten, entpuppten sich als Unimog-artige
Fahrzeuge mit Kastenaufbau, unseren alten W50-LPG-Bussen
nicht unähnlich und auch nicht viel bequemer. Los ging es auf
teils steilen, teils flachen mäandrierenden Pfaden, die in der La-
va-Wüste, die wir durchquerten, mit Stangen zur Orientierung
für die Fahrer abgesteckt waren, über unwirtliches gespenstisch
anmutendes Gelände, das Bilder von 1969 (erste Mondlandung)
bzw. aus den frühen 70er Jahren von Lunochod-Fotos lebhaft aus
der Erinnerung aufsteigen ließ. Die ganze Gegend war bedeckt
von dunkelbraunem bis anthrazitfarbenem Geröll in größerer und
kleinerer Körnung bis hin zu meterhohen Gesteinsbrocken. Der
Horizont war teils wolkenverhangen. Der Ausblick tröstete nicht.
Einige der streichholzschachtelgroßen Menschlein waren wieder
zu natürlicher Größe herangewachsen und wanderten unverdros-
sen ebenfalls in die Richtung, in die unsere Busse fuhren. Kurz
vor Erreichen des Basislagers erblickten wir den Hauptkrater mit
ca. 3230 m zu unserer Rechten. An der Endstation des Busses
nahm uns der italienische Bergführer in Empfang, der uns erklär-
te, dass man den Hauptkrater auf einer 5- bis 6-stündigen Kletter-
tour erreichen könne, die morgens um 9.00 Uhr an der Basisstati-
on beginne und für die Bergausrüstung nötig sei. Sein mitleidiger
Blick in die Runde machte uns klar, dass er unsere Montur nicht
für geeignet hielt, obwohl wir durchaus Wetterjacken und festes
Schuhwerk angelegt hatten und nicht wie einige einheimische
Mädchen in Flipflops aufgebrochen waren. Außerdem spuckte
der Hauptkrater gerade Schwefeldämpfe aus, deren gelblichen
Niederschlag man an seinem Rand deutlich erkennen konnte und
die einen Besuch wenig ratsam erscheinen ließen. So wandten wir
uns dann den beiden beim Ausbruch von 2002/03 entstandenen
Nebenkratern zu, deren Rand wir gefahrlos ersteigen konnten.
Die Wetterjacken und die festen Schuhe erwiesen sich hierbei als
ausgesprochen nützlich, denn die Temperatur war doch erheblich
abgesunken, und es wehte ein kräftiger Wind. Der Pfad, auf dem
wir gingen, war fest, aber mit Geröll bedeckt, so dass man schon
aufpassen musste, wohin man tritt. Nach wenigen Schritten ba-
lancierten wir am Rande des Kraters entlang. Ein Blick in sein In-
neres offenbarte einen auf dem Kopf stehenden Schuttkegel, der
aber noch eine Überraschung enthielt: nicht etwa wie erwartet
Lava oder wenigstens Schwefeldämpfe, nein, auf seinem tiefsten
Grund lag buchstäblich der Schnee vom vergangenen Jahr. Der
Krater war also komplett erloschen. Der Blick in die Landschaft
zeigte, dass wir uns inzwischen über den Wolken befanden, die
zum Glück nicht so dicht waren, dass man gar nichts mehr sehen
konnte. Das Gefühl von Reinhard Meys grenzenloser Freiheit
mochte sich allerdings angesichts des schmalen Geröllpfades
doch nicht einstellen. Der Pfad führte am Kraterrand bis auf etwa
2950 m hinauf, teilweise recht steil. Plötzlich fand sich am Rand
ein Erdloch, das an den Eingang eines Kaninchenbaues erinnerte
und aus dem es dampfte. Siehe da, doch ein Vulkan, denn wenn
man die Hand hineinsteckte, war es dort innen gemütlich warm.
Einerseits waren wir recht froh, dass sich die vulkanischen Akti-
vitäten an diesem Tage darauf beschränkten, andererseits hätte es
schon ein bisschen mehr sein können …
Der Abstieg und die Busabfahrt verliefen wieder durch die selbe
Mondlandschaft, welcher Eindruck sich noch dadurch verstärkte,
dass wir uns über den Wolken befanden. Bei der Seilbahnfahrt,
die bergab etwas geordneter verlief, durchstießen wir wieder die
Wolkenschicht und genossen noch einen herrlichen Blick auf das
Mittelmeer. An der Talstation trafen alle wieder wohlbehalten zu-
sammen und auf Serpentinenpfaden abwärts ging es in Richtung
Taormina neuen Erlebnissen entgegen.
Dr. Lutz-Ingolf Peters,
Neverin
Beiträge und Berichte
DenWolken ein Stück näher …?