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Informationsblatt 27 März 2016
Viele Kulturen prägten die Geschichte Siziliens. Besiedlungs-
spuren finden sich schon im Neolithikum aus der Zeit um 6000
v. u. Z. und aus der (Kupfer-)Bronzezeit um 3000-1000 v. u.
Z. In dieser Zeit wanderten nacheinander indogermanische
Stämme der Sikaner, Sikuler und Elymer ein, und eine rege
Handelsbeziehung mit Mykene ist belegt. Um 1000 v. u. Z.
gründeten die Phönizier aus dem Libanon kommend erste Han-
delsniederlassungen in Sizilien. Ruinen in Motzia (Motye) und
in Palermo (Panormos) haben wir besichtigt. Zur Zeit Homers
begann dann durch Griechen aus Euböa, Naxos und Korinth
die Besiedlung der Südküste mit der Gründung der Siedlungen
und Städte Syrakus (734 v. u. Z.), Naxos (735 v. u. Z.), denen
Katane (Catania) und Akragas (Agrigent) folgten. 575 v. u. Z.
errichteten die Syrakuser ihrem Gott Apollon den ersten Tem-
pel. In den darauf folgenden zweihundertfünfzig Jahren kommt
es immer wieder zu Konflikten zwischen den Tyrannen der si-
zilianischen Städte untereinander und den zugewanderten Grie-
chen sowie den Karthagern. Im Peloponnesischen Krieg wird
die Insel auch Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen
Athenern und Spartanern. Mit dem Sieg der Römer über die
Karthager im ersten Punischen Krieg (264-241 v. u. Z.) wird
Sizilien Provinz des Imperium Romanum. Aus dieser Epoche
stammt die beeindruckende Villa Romana del Casale bei Piazza
Armerina mit ihren meisterhaft ausgeführten Fußbodenmosai-
ken. 440 beenden die Einfälle der Vandalen unter Geiserich die
römische Herrschaft. Diese werden wiederum kurze Zeit später
durch die Westgoten und Ostgoten verdrängt.
In der Zeit von 535-827 ist Sizilien byzantinische Provinz.
Zahlreiche Tempel werden in Kirchen umgebaut. So erfuhr
auch der Athena Tempel in Syrakus im 7. Jh. eine Umwand-
lung in eine dreischiffige Basilika. Die Arabische Epoche von
827-1072 erwies sich in ihrer Herrschaft als milde und tolerant,
nicht nur den Religionen gegenüber. Die Landwirtschaft blühte
auf, und es entstehen zahlreiche Moscheen in Palermo, die in
der normannisch-staufischen Periode (1060-1266) zu christli-
chen Kirchen geweiht werden. Seit der Herrschaft der Byzanti-
ner, wie auch in den darauf folgenden französischen und spani-
schen Epochen, bis zur heutigen Zeit ist Siziliens Bevölkerung
zutiefst christlich geprägt.
Seine Lage und seine Besiedlungsgeschichte machten Sizilien
zur Drehscheibe und zum Schmelztiegel der Kulturen zwischen
Orient und Okzident. Neben den materiellen Hinterlassenschaf-
ten sind es vor allem die Sagen, Seefahrermärchen und Legen-
den, denen wir auf der Insel auf Schritt und Tritt begegneten.
Gleich am Anfang unserer Reise besichtigten wir den Doumo
di St. Agata in Catania. Geweiht ist er der Schutzheiligen der
Stadt. Im Inneren der Kathedrale befindet sich die Kapelle der
Hl. Agata mit dem berühmten fercolo, der Büste der Heiligen
(Abb. 1). Die Legende besagt, dass die junge Christin unter
der Herrschaft Kaiser Tiberius verfolgt und verbrannt wur-
de. Bei der Verbrennung soll eine Frau einen weißen Schlei-
er über den Körper der jungen Frau geworfen haben, worauf
sich dieser blutrot färbte.
Er wird heute neben den
sterblichen Überresten
als wertvollste Reliquie
in der Kathedrale aufbe-
wahrt und bei den jähr-
lichen Prozessionen mit-
geführt. Zur Schutzpa-
tronin der Stadt wurde die
Heilige, weil man glaubt,
sie habe die Lavaströme
von Catania ferngehal-
ten und die Stadt vor
der Vernichtung gerettet.
Auch beim verheeren-
den Ätna-Ausbruch von
1669 vertraute man auf
die segensreiche Hilfe der Heiligen. Zwar wurden zahlreiche
Häuser zerstört, der Lavastrom stoppte aber am Meer – Agata
hatte wieder einmal helfend eingegriffen. Das riesige Ausmaß
der Lavamassen, die damals die Stadt erreichten, wurde uns
beim Besuch des Castello Ursino deutlich, welches ursprüng-
lich direkt am Meer lag, heute jedoch einen halben Kilometer
davon entfernt ist.
Dem Ätna mit seinen vier Gipfelkratern und einer Höhe von
rund 3350 Metern und der Ostküste Siziliens, der Zyklopen-
küste, kamen in der Antike eine zentrale mythologische Bedeu-
tung zu.
Aiolos, der Gott der Winde, soll hier vor seiner Höhle die Win-
de eingefangen haben, der Gott des Feuers und der Schmiede
Hephaistos habe hier seinen Sitz gehabt und für Zeus die be-
rühmten Blitzkeile geschmiedet. Und immer, wenn der Gott in
Wut über die Untreue seiner Frau Aphrodite geriet, soll er so
getobt haben, dass der Vulkan ausbrach. Als der Riese Typhon
mit seinen hundert Drachenköpfen, der die Sprache der Tiere
genauso beherrschte wie die der Götter, den Olymp aufsuch-
te und die Olympier mit seinem Gebrüll erschreckte, so dass
sie sich vor Angst in Tiere verwandelten, stellte sich ihm Zeus
als Einziger zum Kampf. Nach verschiedenen Abenteuern floh
Typhon nach Sizilien. Hier habe Zeus den Ätna auf ihn gewor-
fen. In seinem Gefängnis tobend, soll Typhon den Berg erbeben
lassen.
Wer nun glaubt, dieses Heldenstück sei nicht zu übertreffen,
irrt.
Als Herakles mit den Olympiern in die Gigantenschlacht zog,
um gegen die Riesen und Ungeheuer, die ihre Mutter Gaia ge-
gen die Götter aufgehetzt hatte, zu kämpfen, soll Athene auf
den fliehenden Giganten Enkelados die Insel geschleudert ha-
ben, die wir heute als Sizilien kennen. Dank Herakles gewan-
nen die Götter die Gigantenschlacht und ihm wurde die Un-
sterblichkeit verliehen.
Beiträge und Berichte
Sizilienreise I:
Sagenhaftes Sizilien – ein Exkurs in die mythologische Sagen- und
Legendenwelt der Insel
Abb. 1 – Hl. Agata, Catania