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das Freiwilligen-Zeugnis, besucht anschließend die Gewerbeschule und geht als
Landwirt in die Lehre. Von 1869 bis 1872 studiert er an der Universität in Hal-
le/Saale Landwirtschaft, Volkswirtschaft und Naturwissenschaften. Dort ist sein
Onkel, Julius Kühn, der bedeutende Agrarwissenschaftler, seit 1862 ordentlicher
Professor.
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Ab 1873 unternimmt Ohnefalsch-Richter ausgedehnte Reisen in Süddeutschland,
Österreich und Ungarn. Vor allem in Italien, wo er sich Kunststudien widmet,
die Malerei und Fotografie erlernt und seine ersten literarischen Arbeiten verfasst,
hält er sich längere Zeit auf. Als Zypern 1878 infolge des Berliner Kongresses
unter britische Verwaltung gelangt, befindet sich Ohnefalsch-Richter in München,
um beim Hoffotografen Albert seine fotografischen Fähigkeiten zu verbessern. Er
verwirft seinen ursprünglichen Plan, nach Italien zurückzukehren und entschließt
sich, nach Zypern zu gehen. Über seine Beweggründe schreibt er: „Die Reisebe-
richte Franz von Löhers, die Entdeckungen Louis Palma di Cesnola’s brachten in
mir plötzlich den Entschluss zur Reife, den Wanderstab nach dem Orient und nach
dem Lande zu ergreifen, das mir noch wenig wissenschaftlich, cultur- und kunst-
geschichtlich ausgebeutet erschien.“
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Als Berichterstatter für Zeitungen, ausgestattet mit einer Empfehlung des Kai-
serlichen Deutschen Reichskanzleramtes, reist er nach Zypern. Das Interesse am
Geschick der Insel in Zentraleuropa erlischt bald. Ohnefalsch-Richter entscheidet
sich dennoch zu bleiben und sucht nach anderen Betätigungsfeldern, auch für sei-
ne journalistischen Aktivitäten.
Nach eigener Darstellung beobachtet er im ersten Jahr in Zypern Erdarbeiten der
Engländer zur Trockenlegung eines Sumpfgebietes bei Larnaka. Die dabei freige-
legten Mauerreste identifiziert er als die Ruinen von Kition. Sein noch im selben
Jahr, 1879, publizierter Artikel „Neue Funde auf Cypern. Die Akropolis von Ki-
tion und ein Sanctuarium der syrischen Astarte“
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stellt den Beginn seines archäo-
logisch ausgerichteten, auf Zypern fokussierten Werkes dar. Zufällig also beginnt
die Beschäftigung mit archäologischen Fragestellungen des mit dieser Materie
vollkommen Unvertrauten, der auch keinerlei Grabungserfahrung besitzt. In den
darauf folgenden Jahren untersucht er zahlreiche, über die ganze Insel verstreute,
archäologische Fundplätze und wird zum exzellenten Kenner der Topographie der
Insel. Er legt Fundstätten, zeitweise als „Consulting archaeologist and Superin-
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Julius Kühn (1825–1910), der Bruder von Ohnefalsch-Richters Mutter, hat die Unternehmungen
seines früh verwaisten Neffen immer wieder, vor allem finanziell, unterstützt.
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Ohnefalsch-Richter 1891, S. IV. Franz von Löher hat im Jahr 1875 die Insel bereist. 1878 erschien
sein Werk „Cypern. Reiseberichte über Natur und Landschaft Volk und Geschichte“, aufgrund sei-
ner Brisanz auch in englischer Übersetzung.
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In: Das Ausland LII/49, 1879, 970–974.