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in einem Nachruf vor, den er in der Monatsversammlung der Wiener Anthropolo-

gischen Gesellschaft am 13. Jänner 1891 hielt.

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Er sprach von einer „dankbaren

Bewunderung [...] für den berühmten Mann“ und zollte seinem Schaffen vollen

Respekt: „Aus drückender Armuth hat er sich zu einer selten bevorzugten Stellung

und durch Bitternisse mannigfachster Art zu einer Anerkennung ohne Gleichen

emporgearbeitet. Diese Anerkennung reicht heute so weit, dass sein Name, in an-

derem Sinne und mit anderer Berechtigung wie derjenige Winckelmann’s

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vor

hundert Jahren, doch für die breite Menge der Gebildeten nahezu typisch gewor-

den ist für archäologische Forschung, ja in Hinsicht auf Popularität kaum von den

ersten wissenschaftlichen Zierden der Nation erreicht wird.“

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Benndorf stimmte aber vor den Mitgliedern der Gesellschaft nicht in das „Echo der

panegyrischen Aeusserungen“ ein, „in denen sich die Tagesblätter überboten. Al-

les Irdische trägt Licht und Schatten und auch die Abgeschiedenen verlangen nach

dieser Körperlichkeit ihres Bildes, wenn sie als Lebendige unter uns fortwirken

sollen.“ Benndorf hatte sich auf den Nachruf gut vorbereitet. Er hatte Schliemanns

Autobiographie

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kritisch durchgearbeitet, Schuchhardts Werk über Schliemanns

Ausgrabungen

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studiert und auch Virchows Mitteilungen über Schliemanns letzte

Lebenszeit

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herangezogen. Dies alles in Kombination gebracht mit persönlichen

Eindrücken von ihm, fiel Benndorf eine gerechte Einschätzung von Schliemanns

„Natur“ alles andere als leicht, „da sie nicht eine geschlossene Bahn menschlicher

Berufsarbeit verfolgte, sondern verschiedene getrennte Bahnen kreuzte.“ Er sei

zwar von Geburt Deutscher, seinem Wesen nach jedoch international gewesen,

beherrschte zahlreiche Sprachen Europas, besaß die amerikanische Staatsbürger-

schaft und hatte die Erde umsegelt. Man vermisse in seinen Büchern aber die

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Benndorf 1891a; danach die folgenden Zitate.

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Benndorf scheidet damit, ohne es klar auszusprechen, die auf Winckelmann zurückgehende Kunst-

archäologie von der Grabungs- oder Feldarchäologie, vgl. dazu Bagnani 1955, S. 115, der Schlie-

mann als „Father of Archaeology“ und Winckelmann als „Father of Kunstgeschichte“ bezeichnete.

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Zur Popularität Schliemanns s. z. B. Zintzen 1998, S. 262f.; Samida 2009; Samida 2010, bes.

S. 31–38; Samida 2011a, S. 287–291; Samida 2011c; Samida 2012, S. 98–103.

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Schliemann 1881a.

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Schuchhardt 1890. Zum Verhältnis Schuchhardts zu Schliemann s. Grünert 1992.

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Virchow hatte sich nach dem Ableben Schliemanns mehrfach über dessen Tod in Zeitungsartikeln

geäußert. Besonders einer dieser, der am 4. Jänner 1891 in der „Nation“ erschien, wurde oft rezi-

piert und in Auszügen wiedergegeben, so z. B. auch in der Neuen Freien Presse Nr. 9467, Morgen-

blatt, 3. Jänner 1891, S. 5. Es ist daher davon auszugehen, dass Benndorf diesen Beitrag Virchows

gekannt hat. Virchows ausführliche „Erinnerungen an Schliemann“ (Virchow 1891a) erschienen

erst nach Benndorfs Nachruf in der Wiener Anthropologischen Gesellschaft. Ich danke R. Witte für

Hinweise auf Nachrufe Virchows, die in deutschen Zeitungen vor dem 13. Jänner 1891 veröffent-

licht wurden. – Eventuell meinte Benndorf damit aber auch jene Mitteilungen Virchows, die dieser

am 10. Jänner 1891 in der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte

vortrug, vgl. Virchow 1891b. Diesen Hinweis verdanke ich Ch. Andree.