
243
Dass es manchmal besser ist, lieber gar nichts hinzuschreiben als der Phantasie
freien Lauf zu lassen, wenn man die Schrift nicht lesen kann, beweist folgende
Textstelle Virchows vom 24. Mai 1880. Da will er Schliemann einen längeren Ber-
liner Ausstellungsbesuch schmackhaft machen. Es geht um die bis heute einzigar-
tige „Ausstellung prähistorischer und anthropologischer Funde Deutschlands, die
unter dem Protectorate Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprin-
zen des Deutschen Reiches, in Verbindung mit der XI. Allgemeinen Versammlung
der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft zu Berlin vom 5.–21. August 1880
in dem Geschäftsgebäude des Hauses der Abgeordneten“ stattfand. Herrmanns
Transkription – eine Mischung aus Nichtlesung und Falschlesung – führt wieder
in die Irre. Es heißt dort: „Bedenken Sie doch, daß Ihnen das Beste aus der [...]
fischerei von ganz Deutschland vorgeführt werden soll“. Auch wenn Virchow und
Schliemann sich über die vielfältigsten Interessengebiete ausgetauscht haben, das
Fischereiwesen war es nicht. Es spielt – wenn es denn überhaupt vorkommt –
bestenfalls bei Virchow eine Rolle. Die richtige Lesung lautet: „das Beste aus der
Prähistorie“. Nichts mit [...]fischerei!
Am 10. Juli 1880 beschreibt Virchow kurz, wie die ersten Abzüge von Schlie-
manns 1881 bei Brockhaus in Leipzig erschienenem, dickleibigem Werk „Ilios“
auf ihn wirken: „Den ersten Stoß an Abzügen Ihres Ilios habe ich richtig erhal-
ten. Zum Lesen hatte ich noch keine Zeit. Die landschaftlichen Ansichten sind,
namentlich die größeren, recht lebendig. Wahrscheinlich hat der Holzschneider
manches mißverstanden u[nd] dadurch die Zeichnung in Einzelheiten verändert.
Indeß ist das eine Klage, die sich jedesmal erneuert.“
Und dann heißt es bei Herrmann: „Der Hauptreindruck ist jedenfalls in Korrek-
tur“.
Der Leser fragt sich verwundert, von welcher verlagstechnischen Zwischenstufe
hier die Rede sein mag. Die Antwort lautet: von gar keiner, denn es geht einzig
und allein darum, was Virchow von Schliemanns „Ilios“ hält. Virchow schreibt
nämlich richtig: „Der Haupteindruck ist jedenfalls ein correkter“.
Virchows medizinische Diagnosen werden in der Herrmannschen Korrespondenz-
fassung ganz entsetzlich malträtiert. An Schliemann schreibt Virchow am 9. März
1889, jemand habe „am Ende Lungenbrand bekommen“. Herrmann schwafelt dort
was von einem „Lungentumor“.
Ein abschließendes Beispiel: Schliemann an Virchow vom 12. August 1890: „Ich
habe die Nephritäxte, als von Ägypten kommend, in meinen Schauschrank abqui-
tiert“. Richtig heißt es: „in meinem Schauschrank etiquettirt“.