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Dass es manchmal besser ist, lieber gar nichts hinzuschreiben als der Phantasie

freien Lauf zu lassen, wenn man die Schrift nicht lesen kann, beweist folgende

Textstelle Virchows vom 24. Mai 1880. Da will er Schliemann einen längeren Ber-

liner Ausstellungsbesuch schmackhaft machen. Es geht um die bis heute einzigar-

tige „Ausstellung prähistorischer und anthropologischer Funde Deutschlands, die

unter dem Protectorate Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprin-

zen des Deutschen Reiches, in Verbindung mit der XI. Allgemeinen Versammlung

der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft zu Berlin vom 5.–21. August 1880

in dem Geschäftsgebäude des Hauses der Abgeordneten“ stattfand. Herrmanns

Transkription – eine Mischung aus Nichtlesung und Falschlesung – führt wieder

in die Irre. Es heißt dort: „Bedenken Sie doch, daß Ihnen das Beste aus der [...]

fischerei von ganz Deutschland vorgeführt werden soll“. Auch wenn Virchow und

Schliemann sich über die vielfältigsten Interessengebiete ausgetauscht haben, das

Fischereiwesen war es nicht. Es spielt – wenn es denn überhaupt vorkommt –

bestenfalls bei Virchow eine Rolle. Die richtige Lesung lautet: „das Beste aus der

Prähistorie“. Nichts mit [...]fischerei!

Am 10. Juli 1880 beschreibt Virchow kurz, wie die ersten Abzüge von Schlie-

manns 1881 bei Brockhaus in Leipzig erschienenem, dickleibigem Werk „Ilios“

auf ihn wirken: „Den ersten Stoß an Abzügen Ihres Ilios habe ich richtig erhal-

ten. Zum Lesen hatte ich noch keine Zeit. Die landschaftlichen Ansichten sind,

namentlich die größeren, recht lebendig. Wahrscheinlich hat der Holzschneider

manches mißverstanden u[nd] dadurch die Zeichnung in Einzelheiten verändert.

Indeß ist das eine Klage, die sich jedesmal erneuert.“

Und dann heißt es bei Herrmann: „Der Hauptreindruck ist jedenfalls in Korrek-

tur“.

Der Leser fragt sich verwundert, von welcher verlagstechnischen Zwischenstufe

hier die Rede sein mag. Die Antwort lautet: von gar keiner, denn es geht einzig

und allein darum, was Virchow von Schliemanns „Ilios“ hält. Virchow schreibt

nämlich richtig: „Der Haupteindruck ist jedenfalls ein correkter“.

Virchows medizinische Diagnosen werden in der Herrmannschen Korrespondenz-

fassung ganz entsetzlich malträtiert. An Schliemann schreibt Virchow am 9. März

1889, jemand habe „am Ende Lungenbrand bekommen“. Herrmann schwafelt dort

was von einem „Lungentumor“.

Ein abschließendes Beispiel: Schliemann an Virchow vom 12. August 1890: „Ich

habe die Nephritäxte, als von Ägypten kommend, in meinen Schauschrank abqui-

tiert“. Richtig heißt es: „in meinem Schauschrank etiquettirt“.