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Die Zeit der Reisenden und Diplomaten
Frühkykladische Altertümer sind bereits früh von Reisenden auf den griechischen
Inseln bemerkt worden, da die Gräber dieser Kultur meist nur knapp unter der
Erdoberfläche liegen und so beim Pflügen oder auch durch Erosion zutage treten.
So wurden besonders Marmorarbeiten von den Einheimischen eingesammelt, die
Gefäße sogar gelegentlich im Haushalt verwendet und die Idole den sich für Alter-
tümer interessierenden Reisenden gezeigt
4
. Ein frühes Zeugnis für Kykladisches
findet sich im Reisebericht von Heinrich Leopold Pasch van Krienen aus dem
Jahr 1773, als ihm 1771 bei der Ausgrabung des vermeintlichen Homergrabes auf
Ios kleine Figürchen aus Marmor, Obsidianklingen und Marmorgefäße auffielen
5
.
Auch 1791 ist aus einem Brief des als Handelsagenten in Griechenland tätigen
Kunstmalers Louis François Sébastian Fauvel zu entnehmen, er habe bei Grabun-
gen auf Ios kleine Marmorfiguren gefunden: „...Idole aus Marmor, die von den
Kindertagen der Kunst künden; sie sind sechs oder acht Zoll lang, flach, der Kopf
ist ein ebenfalls abgeflachtes, nach hinten geneigtes Dreieck, in dem es nur die
Nase gibt. Die Arme sind vor der Brust verschränkt und die Beine geschlossen. Es
handelt sich um Frauen; es fanden sich sechs ähnliche auf einer Fläche von drei
Fuß im Geviert, zusammen mit einer Tasse aus Marmor und einer aus Alabaster,
acht Vasen und umhergestreuten Knochen“
6
. Es liegt hier in der Tat die erste de-
taillierte Beschreibung eines frühkykladischen Grabes vor.
Die Griechenlandbegeisterung des beginnenden 19. Jahrhunderts führte eine wach-
sende Schar von Reisenden auf die Kykladen, und auch ihnen entgingen nicht diese
kleinen marmornen Figuren, die sich nur schwer deuten ließen und sich nicht in die
durch Johann Joachim Winckelmann geprägte gängige Vorstellung griechischer
Kunst einfügten. Dennoch wurden Figuren dieser Art mitgenommen und gerieten
so in europäische Sammlungen. Ein frühes Beispiel befand sich in der Sammlung
von Thomas Burgon (1787–1858), einem in Smyrna ansässigen englischen Kauf-
mann, und wurde von ihm 1808 in einem Aquarell dargestellt. Eine Notiz auf der
Zeichnung beschreibt das dargestellte Idol als „extremely coarse and ugly“
7
.
4
z. B. Bent 1884, 58: „In our travels we found lots of the marble figures and bowls in the peasants’
houses“. Auch Getz-Gentle 1996, 5 m. Anm. 9 zur sekundären Verwendung frühkykladischer Mar-
morgefäße in Kirchen.
5
Krienen 1773, 146. Er beschreibt hier ein Steinkistengrab, ein in frühkykladischer Zeit weit ver-
breiteter Grabtypus. Bei seinen Ausgrabungen auf den Kykladen fand Pasch van Krienen noch
mehr frühkykladische Gräber, siehe Ross 1840, 161 Anm. 15.
6
Beschi 1999, 392; Hattler 2011, 223.
7
Galanakis 2013, 88 Abb. 148. Die Originalzeichnung befindet sich heute im Ashmolean Museum
Oxford, Burgon drawing 298. Das Idol gelangte 1842 in das British Museum London, Inv. Nr.
1842, 0728.616.