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zu imponieren. Grundsatz und Erfolgsgeheimnis des Kaufmanns war, wie wir in
der Selbstbiographie (Ilios, S. 22) lesen: „Meine Hauptstapelwaare aber blieb der
Indigo; denn da ich eine
gründliche Kenntniss dieses Artikels
besass und von den
Herren J. Henry Schröder in London immer mit auserlesener und billiger Waare
versehen wurde, dazu auch selbst grosse Quantitäten direct von Kalkutta impor-
tirte und nie, wie die übrigen Indigohändler in Petersburg, den Verkauf des Indigo
meinen Commis oder Dienern überliess, sondern stets selbst im Speicher stand,
um den Händlern die Waare zu zeigen und die Engrosverkäufe abzuschließen,
so hatte ich keine Concurrenz zu fürchten und durchschnittlich einen jährlichen
Reingewinn von 200000 M. an Indigo und ausserdem 6% Zins vom Kapital.“
Darüber hinaus (Ausnahmen bestätigen die Regel): vorsichtiges Handeln, Ver-
lässlichkeit, gute Zahlungsmoral und Menschenkenntnis. Der Archäologe betont:
„Denn nach meiner Überzeugung liegt das wahre Glück nicht in Geld, sondern in
der Herzensruhe und Selbstzufriedenheit, welche ich früher im Gewühle des gro-
ßen Geschäfts nie kannte und die mir nur durch die Wissenschaft eigen wurde. Ich
Ärmster würde vor Langeweile umkommen, wenn ich mich mit nichts anderem
mehr als mit Handel beschäftigen könnte …“
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Und der Hausherr lässt mit Hesiod
(Werke und Tage, 701 ff.) sagen: „Nimmer kann ja der Mann etwas Besseres als
eine gute / Frau sich erbeuten, doch auch nichts Schlimmeres als eine böse, / die
aufs Essen nur lauert. Denn ohne Fackel versengt sie / auch noch den stärksten
Mann und macht ihn vorzeitig altern.“ Oder er wird durch Inschriften im Iliou
Melathron an antike Lebensweisheiten erinnert: „Bedenke die Zeit“ (Pittakos),
„Alles mit Maßen“ (Menandros), „Studieren ist alles“ (Periander), „Schrecklich
die Unbildung“ (Thales) und „Rede Nützliches“ (Bias).
Vieles gäbe es hier noch zu berichten. Egal, über welchen Aspekt man im Leben
und Werk Schliemanns schreibt oder spricht, jedes Thema ufert aus. Auch das
muss wohl mit den großen Leistungen dieses Mannes zu tun haben.
Nach 99 Sonntagsvorträgen (Abb. 8) ziehe ich mehr denn je meinen Hut vor
Heinrich Schliemann – vor dem keine Strapazen scheuenden Reisenden, vor dem
unglaublichen Sprachgenie, den arbeitswütigen Kaufmann und den besessenen
und stets lernenden Archäologen. Es steht auf einem anderen Blatt und auch nicht
zur Diskussion, ob wir ihn sympathisch finden, oder ihn gern zum Freund gehabt
hätten. Wir glauben, ihn durch die Überfülle an hinterlassenen Informationen zu
kennen und beurteilen zu können, sind ihm aber dennoch in seinem Leben nie
begegnet.
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Vgl. R. Hampe, Heinrich Schliemann. Festvortrag gehalten bei der 575-Jahrfeier der Universität
Heidelberg am 31. Mai 1961. In: Das Carolinum 28. Jg. – Nr. 35 (Sommerhalbjahr 1962), S. 7.




