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Informationsblatt 31 Februar 2020
Schliemanns kulinarische Abenteuer in Italien
von Natalia-Vogeikoff-Brogan
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Mit freundlicher Genehmigung von der Interseite der Gennadius Library (3. März 2019). Der Beitrag wurde leicht gekürzt.
Beiträge und Berichte
Kein Tag vergeht im Archiv der American School of Classical
Studies in Athen (ASCSA) ohne Nachfrage nach den Heinrich-
Schliemann-Papieren. Mehr als ein Drittel der Sammlung wurde
digitalisiert und für die Online-Recherche verfügbar gemacht.
Trotzdem kommen diese Anfragen immer wieder aus der ganzen
Welt, auch aus so abgelegenen Gebieten wie Japan und Kuba.
Obwohl er zweifellos eine legendäre Figur ist, ist Schliemanns
Beliebtheit vor allem auf den Reichtum seines persönlichen Ar-
chivs zurückzuführen, das nach wie vor eine unerschöpfliche In-
formationsquelle für ein breites Publikum ist: Historiker, Archäo-
logen, Roman- und Sachbuchautoren, sogar Filmproduzenten.
Zu der umfangreichen Liste der
Bücher und Artikel, die über
Schliemann geschrieben wur-
den, möchte ich die jüngsten
Veröffentlichungen von Umber-
to Pappalardo, der die Aktivitä-
ten von Schliemann in Napoli
und auf der Insel Motya studier-
te, sowie das neue Buch von
Massimo Cultraro mit demTitel
L‘ultimo sogno dello scopritore
di Troia: Heinrich Schliemann
e l‘ Italia (1858-1890) erwäh-
nen (Abb. 1). Vor ihnen veröf-
fentlichte Elizabeth Shepherd
2012 einen umfassenden Arti-
kel über Schliemanns Wande-
rungen in Italien im Herbst/Winter 1875, insbesondere über sein
Interesse am Standort Populonia.
Schliemann reiste sieben Mal nach Italien, zuerst als Tourist
(1858) und später, besonders nach der Entdeckung Trojas (1871-
1873), als Prominenter und potenzieller Ausgräber. In den Stra-
ßen von Neapel tat er sogar eines Morgens im Dezember 1890
seinen letzten Atemzug. Bis vor kurzem waren die italienischen
Tage von Schliemann wenig erforscht.
Schliemann, der fließend italienisch sprach (wie auch viele wei-
tere Sprachen), führte während seiner Italienreise ausführliche
Reisetagebücher. Um die Zeit von Schliemann auf der Halb-
insel zu beleuchten, haben sowohl Pappalardo als auch Cultraro
in dem Schliemann-Archiv in Athen sowie in anderen Archiven
Italiens gründliche Forschungen durchgeführt, und dies mit groß-
artigen Ergebnissen. Zum Beispiel hat Pappalardo imArchiv von
Giuseppe Fiorelli (Fiorelli (1823-1896) hat Pompei 1865 ausgra-
ben) entdeckt, dass Schliemann 1874 mit den italienischen Be-
hörden über den Verkauf des sog. Schatzes des Priamos verhan-
delte, den er aus Troja illegal aus dem Osmanischen Reich nach
Athen verbrachte (s. Pappalardo 2018b). Der Verkauf fand nicht
statt, weil das neue italienische Königreich nicht über die Mit-
tel verfügte, um den Schatz zu kaufen; zwei Jahre später (1876)
schickte Schliemann nach Angaben von Pappalardo 196 Stein-
werkzeuge aus Troja an den Anthropologen und Ethnologen Gi-
ustiniano Nicolucci (1819-1904). Nicolucci verkaufte sie später
an das Anthropologiemuseum der Universität von Napoli, wo sie
sich heute befinden.
Zumindest der breiten Öffent-
lichkeit ist wenig bekannt, dass
Schliemann während seiner drit-
ten Italienreise (1875) auf der
Suche nach einem neuen Betäti-
gungsfeld war, falls er nicht nach
Troja zurückkehren durfte. In
diesem Bemühen wurde er von
den neapolitanischen Behörden
ermutigt, nach Standorten in Ita-
lien zu suchen. Einer von ihnen
war Motya. Vom 19. bis 22. Ok-
tober 1875 führte er einige Pro-
begrabungen auf der Insel Motya
an der westlichen Spitze Siziliens
durch, wurde jedoch von den Er-
gebnissen entmutigt (s. Pappalar-
do 2018a). Es ist vielleicht ver-
ständlich, dass der Ausgräber des
„Schatzes des Priamos“, der nicht für seine Geduld bekannt war,
größere Erwartungen hatte. Wäre er länger geblieben, hätte er
vielleicht den berühmten Jüngling von Motya (Abb. 2) entdeckt,
der 1979 ausgegraben wurde.
Cultraros Buch über Schliemanns Reisen auf die italienische
Halbinsel ist auch von großem Interesse, weil er sich mit dem
Reisenden Schliemann beschäftigt und seine Tagebücher als
Quelle ethnographischer Informationen über Italien im späten
19. Jahrhundert betrachtet. Noch interessanter ist die Tatsache,
dass Cultraro den Essgewohnheiten von Schliemann in Ita-
lien (2018, S. 148-152) ein eigenes Unterkapitel mit dem Titel
„A tavola con Schliemann“ gewidmet hat. Wie zu erwarten, ge-
hören die meisten kulinarischen Bemerkungen von Schliemann
zu seiner ersten Reise im Jahr 1858, als er seinen ersten wahren
Geschmack von italienischem Essen bekam. (Nach seinen Be-
schwerden zu urteilen, war er nicht sehr beeindruckt.) Während
seiner Reise von 1868 gab es weit weniger Kommentare über das
Essen (ich vermute, dass er bis dahin wusste, was zu erwarten
oder zu vermeiden war). Mit der Erlaubnis von Massimo präsen-
tiere ich hier auszugsweise Ausschnitte aus diesem Unterkapitel,
der sich auf Schliemanns erste Reise konzentriert. (Vielen Dank
an Cecilia Cozzi für die englische Übersetzung und an Jack L.
Davis für die Bearbeitung.)
Abb. 2 – Jüngling von Motya, ca.
470-460 B.C. (Giusepe Whitaker
Museum, Mozia)
Abb. 1 – Publikation von Massimo
Cultraro