Seite 32 Informationsblatt 30 Februar 2019
Beiträge und Berichte
Die kulturhistorische Bedeutung der Schachtgräber von My-
kenai stand im Zentrum zahlreicher Arbeiten
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, auf eine Beson-
derheit bei der Ausgrabung durch Schliemann sei in diesem
Beitrag hingewiesen. Sie verdient umso mehr Beachtung, da
Schliemann speziell für die Ausgrabungsmethoden zu Beginn
seiner Troja-Forschungen kritisiert wurde.
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In Mykenai erwies
er sich 1876 jedoch als ausgesprochen innovativ, als er auf eine
außergewöhnlich gut erhaltene Bestattung im Schachtgrab I/V
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stieß:
„... Aber von dem dritten, am Nordende des Grabes gelegenen
Körper war das runde Gesicht mit allem Fleisch wunderbar
unter der schweren goldenen Maske erhalten; man sah keine
Spur von Haar, jedoch waren beide Augen deutlich sichtbar,
ebenso der Mund, der unter der auf ihn drückenden grossen
Last weit geöffnet war und alle seine 32 schönen Zähne zeigte.
Aus diesen schlossen alle Aerzte, die gekommen waren den
Körper zu sehen, dass der Mann im frühen Alter von 35 Jahren
verstorben sei. Die Nase war ganz verschwunden. ... Die Far-
be des Körpers ist der einer ägyptischen Mumie sehr ähnlich.
... Die Nachricht, dass der ziemlich gut erhaltene Körper eines
Mannes aus dem mythischen, heroischen Zeitalter, mit golde-
nen Schmucksachen bedeckt, gefunden worden sei, verbreitete
sich mit Blitzesschnelle in der ganzen Argolis, und Tausende
kamen von Argos, Nauplia und den Dörfern, um dies Wunder
zu sehen. Da jedoch niemand im Stande war mir Rath zu erthei-
len, wie der Körper erhalten werden könnte, so liess ich einen
Maler kommen, um wenigstens ein Oelgemälde davon machen
zu lassen, denn ich war besorgt, er möchte zerfallen. Somit bin
ich im Stande, unter Nr. 454 ein treues Bild des Körpers zu ge-
ben, wie er aussah, als alle goldenen Schmucksachen davon ab-
genommen waren. Jedoch hielt er sich zu meiner grossen Freu-
de zwei Tage lang, als ein Droguist aus Argos, namens Spiridon
Nikolaou, ihn durch Aufgiessen von Alkohol, worin Sandarak
aufgelöst war, hart und fest machte.“
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Sein Vorgehen war nun folgendes:
„Da unter dem Körper keine Kieselsteine gesehen wurden, so
dachte man, er könnte durch Unterschieben einer eisernen Plat-
te gehoben werden; dies war jedoch ein Irrthum, denn man fand
gar bald heraus, dass die gewöhnliche Schicht Kieselsteine da-
runter vorhanden war. Da nun diese durch das starke Gewicht,
welches seit Jahrtausenden darauf gelastet hatte, mehr oder
weniger in den weichen Felsen eingedrungen waren, so waren
alle Versuche vergeblich, die eiserne Platte unterhalb der Kie-
selsteine hineinzuschieben und diese mit dem Körper zu heben.
Es blieb daher nichts anderes übrig, als rings um den Körper
1 Für Anregungen und Kommentare zum Thema danke ich sehr: M. K. H. Eg-
gert, U. Pappalardo, St. Samida.
2 Etwa Dickinson 1977; Dietz 1991; Karo 1930/1933; Kilian-Dirlmeier
1986; Maran 2004; Penner 1998.
3 Etwa Hertel 2002, 25–28, auch mit dem Hinweis auf Schliemanns Selbstkri-
tik.
4 Schachtgrab I nach Schliemanns Zählung, Schachtgrab V laut heutiger
(etwa L. Papazoglou-Manioudaki in: Papazoglou-Manioudaki/Nafplioti/
Musgrave/Prag 2010, 163).
5 Schliemann 1878, 340–342.
einen kleinen Graben in den Fels zu hauen und dann einen ho-
rizontalen Einschnitt zu machen, eine 2 Zoll dicke Fels-plat-
te abzulösen, diese mit den Kieselsteinen und dem Körper
zu heben, auf ein dickes Bret zu legen, um dieses eine soli-
de Kiste zu machen und letztere nach dem Dorfe Charvati zu
senden, von wo sie nach Athen transportirt werden wird, sobald
die archäologische Gesellschaft ein passendes Local für die
mykenischen Alterthümer gefunden haben wird. Bei den hiesi-
gen elenden Werkzeugen war es eine schwere Arbeit, die gros-
se Steinplatte horizontal vom Felsen abzutrennen, aber es war
noch viel schwerer, diese in der hölzernen Kiste an die Oberflä-
che und auf Menschenschultern mehr als eine Meile weit nach
dem Dorfe Charvati zu schaffen. Jedoch steht all diese Mühe
undArbeit in keinemVerhältniss zu dem grossen Interesse, wel-
ches dieser Körper aus dem fernen heroischen Zeitalter für die
Wissenschaft hat.“
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Was Schliemann hier be-
schreibt, bezeichnet die archäo-
logische Forschung als „Block-
bergung“
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. Eine Forschungsge-
schichte zu diesem Verfahren
ist mir nicht bekannt; definitiv
ab 1882 wurden allerdings
in Rössen im heutigen Bun-
desland Sachsen-Anhalt neo-
lithische Bestattungen durch A.
Nagel im Block ausgegraben
(Abb. 1), der sie etwa an das
Museum für Vor- und Frühge-
schichte der Staatlichen Muse-
en zu Berlin verkaufte.
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Blockbergungen finden wir
etwa in Museen als Installa-
tionen – genannt sei hier vor
allem das Landesmuseum für
Vorgeschichte in Halle –, aber
durchaus auch weiterhin im
Grabungsalltag.
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Spektakulär
war vor wenigen Jahren die
Bergung des monumentalen
„Keltenblocks“ in Baden-Württemberg mit einem „Kammer-
schachtgrab“, das ins 6. Jh. v. Chr. gehört.
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Unklar ist, wie Schliemann auf den Gedanken gekommen
ist, die Bestattung aus dem Schachtgrab im Block zu bergen.
Möglich wäre es, dass ihm in Pompeji „Lücken“ an den Wän-
den der Häuser aufgefallen waren, nachdem dort Fresken her-
ausgeschnitten worden waren.
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Entsprechende Beobachtungen
6 Schliemann 1878, 342 f.
7 Etwa Kullig o.J.
8 Niquet 1938, besonders 1, Taf. I–XI. S.a. Friederich 2015.
9 Etwa Friederich 2015 sowie
http://www.lda-lsa.de/landesmuseum_fuer_vorgeschichte/dauerausstellung/jungsteinzeit/ (23.08.2018).
10 Etwa Krausse/Ebinger-Rist 2012 – s.a.
http://keltenblock.de/index.php(23.08.2018).
11 Van Buren 1952, 2002 f. – Vielleicht auch angeregt durch die Paläontolo-
gie? – Mit Skepsis geäußerte Überlegung von St. Samida, für die ich danke
(mail vom 22.08.2018).
Schliemanns Ausgrabung des Schachtgrabes I/V von Mykenai – eine frühe Blockbergung
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Abb. 1 Blockbergung aus Rössen,
Grab 11 (Niquet 1938, Taf. VII, 11a).