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Seite 54 Informationsblatt 27 März 2016

Beiträge und Berichte

StefanieA. H. Kennell hat auf unseremSchliemann-Kolloquium

im September 2011 erstmals ausführlich über Schliemanns

Aufenthalt in Frankreich berichtet (veröffentlicht in den

Mitteilungen Heft 9 / 2011, S. 175-188). Es verwundert, dass

Kennell, die durch ihre Arbeit in der Gennadius Library einen

sehr guten Einblick in die Schliemann-Briefe gewinnen konnte,

eine Logenmitgliedschaft Schliemanns nicht erwähnt, obwohl

sie seine Mitgliedschaften in mehreren Fachgesellschaften

detailliert beschreibt.

Für mich war nun herauszufinden, ob auch in Schliemanns

erhaltenen Briefen ein Hinweis auf seine Logenmitgliedschaft

zu finden ist. In der Gennadius Library in Athen wurde ich in

einem seiner Kopierbücher, in denen er seine ausgehenden

Briefe kopiert hat, fündig! Am 5. März 1868 schreibt

Schliemann in Paris einen Brief an seine Schwestern, in dem

er den Tod seiner Kalkhorster Cousine Sophie beklagt. Dieser

Brief enthält, beiläufig am Ende des Briefes hinzugefügt,

folgende Mitteilung

: „Heute Abend haben wir (ein) großes

Gastmahl in unserer Freimaurerloge genannt „le Grand

Orient“. Ich gehe mit großem Widerwillen dahin; die Pflicht

der Selbsterhaltung aber nöthigt mich dazu, denn ich muß Alles

aufbieten mich zu zerstreuen …“

(GL BBB V 27/316). Dies

war der Beweis für eine Logenmitgliedschaft von ihm selbst!

Die Aussage Schliemanns klingt resignierend und passt so gar

nicht zu seiner sonst so optimistischen Grundhaltung. Versetzen

wir uns in seine damalige Lebenssituation:

Im Frühjahr 1864 zerbrach Schliemanns Ehe mit der Russin

Katherina endgültig, er liquidierte seine Handelsgeschäfte und

verließ Russland. Der reiche, aber unglückliche Schliemann

trat, umAbstand zu gewinnen, imApril 1864 eine Weltreise an,

von der er erst im Januar 1866 zurückkehrte. Er ging nach Paris

und nahm am 1. Februar seine Studien an der Sorbonne auf. Er

reiste in den Süden Russlands, nach Dresden, Süddeutschland

und Genf und setzte seine Bemühungen um die Rettung seiner

russischen Ehe fort. Im Frühjahr 1867 äußerte Schliemann

erstmals Scheidungsabsichten, seine Stimmung war depressiv,

er fühlte sich einsam in Paris, litt auch unter der Trennung

von seinen drei Kindern. In dieser Situation trat er der Pariser

Freimaurerloge bei, suchte vor allem Zerstreuung. Ein letzter

Versuch zur Aussöhnung mit seiner russischen Frau scheiterte

im Januar 1869. ImMärz reiste Schliemann in die USA und ließ

am 30. 6. als amerikanischer Staatsbürger in Indianapolis seine

russische Ehe scheiden. Am 24. 9.1869 ging er seine zweite

Ehe mit der 17-jährigen Griechin Sophia Engastromenos ein

und nahm im April 1871 seinen Wohnsitz in Athen. Die Krise

in Schliemanns Leben war beendet, eine Zeit, während der er

nach einem neuen Lebensinhalt, nach Halt im fremden Paris

suchte. Das könnte der Grund für Schliemanns Hinwendung

zur Freimaurerei gewesen sein, deren liberale und weltoffene

Zielstellungen Schliemann aber auch beeindruckt haben

dürften.

Die Ordnung der Freimaurer sagt aus, dass der Freimaurer

durch seine Aufnahme in eine Loge mit seinen Brüdern einen

Bund für das ganze Leben schließt.Also war davon auszugehen,

dass Schliemann auch nach seinem Wohnungswechsel nach

Athen Angehöriger einer dortigen Loge gewesen war. Im

„Bundesblatt der deutschen Freimaurer“ las ich im Januarheft

1890, dass Schliemann im Grand-Hotel in Athen an einem

großen Freimaurer-Fest teilgenommen und dort auch eine Rede

über das antike Griechenland gehalten hat. Im April 1891 wird

in der deutschen Freimaurer-Zeitung (Nr. 16) unter der Rubrik

„Ehrentempel für geschiedene Brüder“ berichtet, dass der

„Pythagoras“, eine Athener Freimaurerzeitung, im 4. Heft des

Jahres 1890 dem verstorbenen Bruder Heinrich Schliemann

einen ehrenden Nachruf mit einer ausführlichen Biographie

gewidmet hat. Der Beitrag wurde vom Neugriechischen

ins Deutsche übersetzt und abgedruckt. Da der Inhalt von

allgemeinem Interesse sein dürfte, wird er nachfolgend

veröffentlicht. Meine Nachforschungen in Athen haben dann

leider ergeben, dass alle schriftlichen Unterlagen der Athener

Logen während des 2. Weltkrieges vernichtet worden sind.

Anfang 2005 hatte ich mich brieflich an die damals noch

lebende Urenkelin Schliemanns, Frau Dr. Galina Andrusová-

Vl

eková in Pezinok gewandt, um mich mit ihr über die

Freimaurerzugehörigkeit ihres berühmten Urgroßvaters

auszutauschen. Ihre Reaktion war für mich völlig überraschend.

Sie teilte mir mit, dass die Andrusov-Familie dies bereits „seit

langer Zeit“ gewusst hätte, es aber als „Geheimnis“ Schliemanns

bewahren wollte. Sie wünschte, dass dies in der Öffentlichkeit

nicht bekanntgemacht würde, weil sie befürchtete, dass dies

ihrem Vorfahren schaden könnte. Die Freimaurer hätten

keinen guten Ruf und in Russland wären die Freimaurer

verboten gewesen, die russisch-orthodoxe Kirche stehe ihnen

distanziert gegenüber, so ihre Begründung. Ich versuchte

sie umzustimmen, erklärte ihr, dass sich die Freimaurer für

Geistes- und Gewissensfreiheit, für Toleranz und Achtung

Andersdenkender, für Pluralismus und eine freie Entfaltung des

Individuums, fürWahrheit und Gerechtigkeit einsetzen würden.

Dass bedeutende Persönlichkeiten der Weltgeschichte, wie

z. B. Goethe, Mozart, Friedrich II. und Washington, Freimaurer

gewesen wären und es heute 6 Millionen Freimaurer in über

130 Ländern der Welt geben würde.

Frau Andrusová änderte ihre Meinung nicht, sie bat mich sehr

eindringlich darum, darüber nichts verlauten zu lassen. Ich

habe mich daran gehalten, da ich mich mit ihr freundschaftlich

verbunden gefühlt habe und unser Vertrauensverhältnis nicht

beschädigen wollte. Nach ihrem Ableben sehe ich heute

keinen Grund mehr, Schliemanns Mitgliedschaft weiterhin

zu verschweigen. Im Internet kann jeder unter „Berühmte

Freimaurer“ den Namen Heinrich Schliemanns lesen. Wir

kennen jetzt die Fakten, die Hintergründe und Zusammenhänge

und sollten darüber berichten, bevor andere „Forscher“, wie

vielfach erlebt, mit solchen bisher unbekannten „sensationellen

Neuigkeiten“ und abenteuerlichen Interpretationen an die

Öffentlichkeit gehen. Wir als Verteidiger Schliemanns und

als die Verwalter seines wertvollen Erbes sollten ihnen

zuvorkommen!

1

Dr. Wilfried Bölke,

Schliemanngemeinde Ankershagenw

1 PS Ich danke unserem Mitglied Herrn Bahruth für die Anfertigung der

Fotos vom Hamburger Logenhaus.