Seite 60 Informationsblatt 27 März 2016
Beiträge und Berichte
den Bruch an der Rippe sowie die Verletzungen an Leber und
Lungen, und man sagt, dass er daraufhin gegen S(evastopoulos)
ein Verfahren wegen Mordes an seinem Sohn anstrengte. Man
wirft hier V(engleris) vor, dass er, trotz erzbischöflichemVerbot
einen sehr reichen Irren namens Bykov [in Russisch – A. J.]
verheiratete und dafür eine große Summe Geldes bekommen
habe. Alle aber sind sich einig, dass er, wohltätig und mitleidig
wie er war, das ganze Geld den Armen gab.
Auf sein Grab setzte man folgende Inschrift [auch im Original
ohne Reim –A. J.]
Hier liegt der Gipfel der Bildung,
Der ehrwürdige schöne Vengleris,
Der, nachdem er sein ganzes heiliges Leben
Mit Gebeten und Opfern der Aphrodite widmete,
Es schließlich im Dienste der Göttin verlor
Durch die Schläge des Sevastopoulos.
Doch des Archimandriten große Seele
Stieg ohne Verzug hinauf zu Aphrodite.
Wenn wir gar am Abend diesen Planeten
In einem stärkeren Strahlenkranz sehen.
Dreimal preisen wir selig den Mann,
Dessen Geist den Stern so lobpreist.
Dreimal ewiges Gedenken sagen dem Freund wir,
Der selbst dort oben uns nicht vergisst und
Vom Himmel herab uns segnet und zuwinkt:
Folgt stets seinem Beispiel.
Man erzählt auch, dass der Schwiegervater des Sevastopoulos,
Mavrokordatos, seinem Schwiegersohn 40 Tausend Rubel
gab, damit er schweigt und sich nicht scheiden läßt. Manche
sagen, dass er derjenige war, der den Heiligen in flagranti im
Bett ertappte und dass er ihn nach den Schlägen die Treppe
heruntergeworfen habe.“
Odessa, Montag, 5. September: „...
Vorgestern bin ich zur
griechischenSchulegegangen, umgriechischeBücher zukaufen
und dort lernte ich den Lehrer Georgios Nikolaidis kennen, den
ich gestern Abend beim Spaziergehen traf und mit dem ich
zusammen zum Stadtpark gegangen bin, wo am Abend stets
Musik gespielt wird. Heute früh besuchten wir zusammen die
griechische Kirche, in der Vengleris, Gott habe ihn selig, immer
den Gottesdienst zelebrierte. Damals war die Kirche stets voll
von frommen Gläubigen, während ich jetzt sehr wenige antraf.
Ehrwürden hatte den Bischof Georgios heilig gesprochen, der
zur Zeit der griechischen Revolution in Konstantinopel von
den Türken festgenommen und gekreuzigt worden war. Seine
Gebeine sind hier in der Kirche aufbewahrt. Vengleris stellte
also die Ikone des Heiligen hier in der Kirche auf, damit die
Gläubigen sie anbeten und küssen konnten. In der Kirche zeigte
sich derArchimandrit [GeorgiosVengleris –A. J.] stets in Prunk
und Glanz, und wenn er durch die versammelte Menge schritt,
sie alle segnend, gingen zwei Priester vor ihm und ein Diakon
hinter ihm, der die Schleppe oder die Schlaufe seines weiten
Kleides hielt, das reich mit Gold bestickt war. Nikolaidis zeigte
mir in der Nähe der Kirche die Behausung des Seligen. Dieser
[das ist Vengleris – A. J.] war aus Petersburg gesandt worden,
um die gebäudelose und verwahrloste [wörtlich – kaputte]
Schulbildung zu sanieren, und man versicherte, dass er in dieser
Hinsicht vieles zustande gebracht hat, denn es gelang ihm, aus
gemeinschaftlichen Spenden eine Mädchenschule zu gründen
und eine Bruderschaft zur Unterstützung der Armen. Da er der
Aufseher des Wohltätigkeitsvereins war, konnten die Damen
unter dem Vorwand, ihren Beitrag zu leisten, ungehindert zu
ihm gelangen, in Wahrheit jedoch, um in den Genuss seiner
Schmeicheleien zu kommen. Unter vielen anderen hatte er
ein Verhältnis mit der verheirateten Tochter des Gouverneurs
Lüders. Er ging nie aus, außer im Wagen. Er war bei allen
beliebt und wurde oft eingeladen.
...
Über Vengleris wird noch erzählt, dass er ein richtiger Despot
gewesen sei und dass er unter anderem einmal seinem Diener
eine solche Ohrfeige verpasst hätte, so dass er ihm alle seine
Zähne ausgeschlagen und eine Gesichtshälfte verunstaltet
habe“.
Soweit die originalen Aufzeichnungen von Henry Schliemann-
Holmes, die beim geneigten Leser möglicherweise auch eine
Erinnerung an Boccaccio wach werden lassen.