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Seite 57

Informationsblatt 27 März 2016

Beiträge und Berichte

Heinrich Schliemann erhält weitere Bittschriften-Briefe

In Fortsetzung meines Beitrages im vorjährigen Informationsheft habe ich einen weiteren Bittstellerbrief ausgewählt, den ein

Abiturient am 9. 6. 1883 an Heinrich Schliemann geschrieben hat.

Transkribierter Brieftext

Coeslin den 9ten Juni 1883.

Hochgeschätzter Herr!

Durch mannigfache Litteraten über Ihre ruhmeswerthe Thätigkeit als Forscher antiker Kunstdenkmäler aufmerksam

gemacht, begeistert für Ihr edles Wirken und ermuthigt durch Ihre hochherzige Gesinnung wage ich es, allverehrter

Herr, mit einer offenen, ehrlich gemeinten Bitte vor Sie zu treten.

Ich hoffe mit Gottes Hülfe zu Michaelis d. J. mein Abiturientenexamen zu machen und wünsche nichts sehnlicher,

als daß ich nach glücklicher Erreichung desselben Ihnen meine Dienste anbieten dürfte. Mich veranlaßt

hierzu nicht sowohl der Mangel an Vermögen, um ein Studium zu ergreifen, als besonders der Wunsch, mich

an Ihnen auszubilden, der Sie durch unermüdliches, rastloses Wirken sich so herrliche Lorbeeren gesammelt

haben. Sollten Sie vielleicht zur Erziehung Ihres kleinen Sohnes eines Lehrers bedürfen, der alle seine Kräfte

anspannen wird, um sich Ihrer Zufriedenheit zu erwerben oder auch in Ihrer eigenen reichen Thätigkeit eine Stütze

gebrauchen, so bin ich gern bereit, Ihnen mit ganzem Herzen zu dienen. Nöthigen Falls bin ich auch im Stande,

Hacke und Spaten zu führen und würde mich glücklich schätzen, durch Dienste, mögen sie sein, welcher Art sie

wollen, mein Brot bei Ihnen zu verdienen. Ich habe außer dem obligatorischen Französisch, auch noch Englisch und

Stenographie getrieben, damit ich auch hierdurch einst Gewinn für mein späteres Leben erzielen kann. Verzeihen Sie

es, werthgeschätzter Herr Schliemann, wenn ich in so offenerWeise zu Ihnen spreche und sollten Sie einen ehrlichen,

aufrichtigen Menschen in Ihrer Familie gebrauchen können, so bitte weisen Sie mein Anerbieten nicht zurück.

In der Hoffnung, daß ein gnädiger, günstiger Bescheid mich der Sorge um die Zukunft entheben werde

Unterzeichnet

Mit Hochachtung und Ergebung ein stets Ihnen dankbarer

Paul Boedrich

Coeslin in Pommern.

Dr. Wilfried Bölke,

Schliemanngemeinde Ankershagen