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Informationsblatt 27 März 2016
Bericht über Konferenz
Komplex 4: Schliemann und seine Zeitgenossen
Prof. Dr. Hellmut Rühle (Wog-
gersin-D): Rudolf Virchows Ar-
beiten als Prähistoriker und seine
Rolle als wissenschaftlicher Bera-
ter Schliemanns
Rudolf Virchow, 1821 geboren
in Pommern, erarbeitete sich in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts eine führende Position in der
deutschen Naturwissenschaft und
Medizin. Er knüpfte an die Leistungen seines Lehrers Johan-
nes Müller an und führte die Ablösung von älteren naturphi-
losophischen Auffassungen in der Medizin fort, wurde zum
führenden Vertreter einer naturwissenschaftlichen Denkwei-
se. Seine Zellularpathologie, sein medizinisches Hauptwerk,
konnte so zu einem Meilenstein der modernen Medizin wer-
den.
Virchow leistete aber auch Bemerkenswertes in der Prähisto-
rie. Er prägte den Begriff der Lausitzer Kultur und umriss da-
mit eine spätbronzezeitliche Kulturphase zwischen Weichsel
und Elbe. Er grenzte sie ab von späteren slawischen Kultur-
schichten. Sein Vorgehen war für die damalige Zeit bemer-
kenswert. Er war Mitbegründer der Berliner und Deutschen
Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Heinrich Schliemann und Rudolf Virchow lernten sich im
Sommer 1875 persönlich kennen. Virchow unterstützte fort-
an in seiner besonnenen Art die Arbeiten des in der Fachwelt
noch nicht völlig akzeptierten Newcomers. Er bereitete Schlie-
mann in den Reihen der genannten Gesellschaften das, was
dieser sich so sehnlichst gewünscht hatte: Eine wissenschaftli-
che Heimat in Deutschland. Virchow, der zweimal bei Ausgra-
bungen in Troia dabei war (1879 und 1890), ist es zu verdan-
ken, dass die „Sammlung trojanischer Altertümer“ nebst sog.
Schatz des Priamos 1881 nach Berlin kam.
Prof. Dr. Christian Andree
(Kiel-D):
Der
Briefwechsel
Schliemann/Virchow in histo-
risch-kritischer Edition erstmals
vollständig vorgelegt
Im Beitrag werden notwendige
Korrekturen am Schliemann-Bild
besprochen, die sich aus den bishe-
rigen höchst fehlerhaften Editionen
des
Schliemann-Virchow-Brief-
wechsels ergeben. Erörterungen politischer Hintergründe und
gelehrtenbiographischer Besonderheiten spielen dabei eine Rol-
le.
Im Rahmen seiner Virchow-Gesamtausgabe veröffentlicht der
Autor in Kürze im Verlag Olms-Weidmann die zweibändige
Ausgabe „Der Briefwechsel Rudolf Virchows und seiner Fa-
milie mit Heinrich Schliemann und dessen Familie, mit Edith
und Frank Calvert, Wilhelm Dörpfeld, Julius Grosse und
Richard Schöne aus den Jahren 1876 bis 1902 über Troja und
Hissarlik. Die Edition enthält auch ergänzende Briefe anderer
zum Thema, etwa von Werner von Siemens an Virchow und
von Schliemann an Otto von Bismarck, zum ersten Mal voll-
ständig aus den Handschriften in historisch-kritischer Edition
vorgelegt von Christian Andree“.
Diese historisch-kritische Edition wird die zahlreichen Fehler
der Briefausgaben von Meyer (1936, 1953/58) und Herrmann/
Maaß (1990) vollständig berichtigen.
Juri Seckendorf, M. A. (Kiel-D):
Neue Erkenntnisse aus dem
Schliemann-Virchow-Briefwech-
sel in der historisch-kritischen
Edition von Christian Andree
Der Autor betont den hohen Stel-
lenwert einer historisch-kritischen
Briefedition im Allgemeinen und
die im vorliegenden Fall im Be-
sonderen. Er kommt am Schluss zu der Frage: Welchen Wert
hat nun die neue Edition insgesamt? Für die Leser gibt es in
der Konsequenz sicher viel ‚Neues‘ zu entdecken. Dabei ist es
völlig egal, ob es sich nur um einzelne fehlende Buchstaben,
bisher unlesbare Textpassagen, unklare Briefköpfe oder die
Korrektur von einzelnen Daten handelt, wie beispielsweise in
Schliemanns Brief an Virchow vom 29. November 1879, der
bisher fälschlicherweise auf den 29. Oktober 1879 vordatiert
wurde.
Der Beitrag soll deutlich machen, dass ‚Neue Erkenntnisse‘
auf dem Gebiet der Editionsarbeit von Briefwechseln eben
nicht nur bahnbrechende Entdeckungen sein können, wie z. B.
noch unveröffentlichte Briefe von einem oder gar beiden Pro-
tagonisten, sondern auch und vor allem, dass es darum geht,
mögliche Fehler im ‚Kleinen‘ zu finden und so für das große
Spektrum der Schliemann- und Virchowforschung ein zuver-
lässiges Arbeitsmittel bereitzustellen.
Zahlreiche Fehler früherer Editionen von Briefen werden auf-
geführt.
Doz. Dr. Karl Reinhard Krierer
(Wien-A): Alexander Conze und
Heinrich Schliemann
Im Beitrag geht es um das Verhält-
nis zwischen Heinrich Schliemann
und Alexander Conze im Spiegel
ihrer Korrespondenz. Die Briefe
sind nur zum Teil veröffentlicht, so
dass erstmals die unveröffentlich-
ten Briefe Conzes an Schliemann im Mittelpunkt stehen, die
in der Gennadius Library in Athen aufbewahrt werden, wel-
chen teilweise die gegenläufige Korrespondenz mit den Brie-
fen Schliemanns an Conze gegenübergestellt werden kann.