Seite 18 Informationsblatt 27 März 2016
Bericht über Konferenz
Der Beitrag beleuchtet schlaglichtartig einzelne Aspekte die-
ser vielfältigen Verbindungen, die einerseits wohl erst mit
dem Beginn von Schliemanns archäologischer Tätigkeit in
den frühen 70er Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzten und
andererseits in engem Zusammenhang mit der Erbauung
und Einrichtung des Iliou Melathrons 1878 bis 1880 zu se-
hen sind. Zuvor korrespondierte Schliemann zwar auch mit
Geschäftspartnern, Freunden und Bekannten, die während
einer Reise in der kaiserlichen Reichshaupt- und Residenz-
stadt Aufenthalt nahmen, dürfte aber nur selten mit dort an-
sässigen Personen oder Firmen in Verbindung gewesen sein.
Private Beziehungen oder Freundschaften zu Wienerinnen
und Wienern sind derzeit ebenfalls kaum bekannt.
Dr.AnnemarieKaufmann-Heini-
mann (Basel-CH): Schliemann
und die Schweiz im Spiegel sei-
ner Korrespondenz mit Eduard
von Muralt und Jakob A. Mähly
In Heinrich Schliemanns reicher
internationaler
Korrespondenz
hat sich ein Briefwechsel mit zwei
Schweizer Wissenschaftlern erhal-
ten, der zur Hälfte auf Deutsch,
zur Hälfte auf Altgriechisch ver-
fasst ist.
Mit dem Theologen Eduard von Muralt (1808-1895), seinem
Lateinlehrer aus der Zeit in St. Petersburg, blieb Schliemann
auch nach dessen Rückkehr in die Schweiz freundschaftlich
verbunden, während er den Latinisten Jakob A. Mähly (1828–
1902) erst 1881 bei einem Besuch in Basel kennenlernte.
Ein Thema, das die Korrespondenz mit den beiden wie ein
roter Faden durchzieht, ist Schliemanns Suche nach einer
Schweizer Erzieherin für seine Tochter Andromache, da
Schweizerinnen seiner Meinung nach besonders gute Vor-
aussetzungen für diese Tätigkeit mitbrachten. Neben diesen
familiären Belangen kommen jedoch auch wissenschaftliche
Probleme zur Sprache.
Prof. Dr. Rolf A. Stucky (Ba-
sel-CH): „Wollen Sie Schlie-
mann sehen?“ Schliemann und
die Schweiz: eine Begegnung im
September 1882
In dem bisher nur in einem Privat-
druck vorliegenden Tagebuch ih-
rer Romreise berichtet die in Chur
in Graubünden beheimatete Anna
Weber von ihrer Begegnung mit
der Familie Schliemann im Sep-
tember 1882: Gemeinsam fuhren sie im Zug von Mailand
nach Parma, wo Schliemann „etwas Prähistorischem auf der
Spur war“.
Sie beschreibt die äußere Erscheinung und die Charaktere
des weltbekannten Forscherehepaars und der beiden Kinder
und erwähnt auch deren Spiele während der langen Zugfahr-
ten.
Offensichtlich verfügte Anna Weber über präzise Kenntnisse
der Ausgrabungen Heinrich und Sophia Schliemanns. Diese
für das weit entfernte Chur überraschende Tatsache erklärt
sich dadurch, dass Familie Weber auf die „Augsburger Allge-
meine Zeitung“ abonniert war, in der Schliemann seine Gra-
bungen in Troia erstmals publiziert hatte. Der Fortschritts-
glaube der sog. Gründerjahre-Generation hatte ihr Eltern-
haus ebenso geprägt wie die Kultur des Bildungsbürgertums.
Die Gedankenwelt und die Vorgehensweise der Familie
Schliemann waren Anna Weber auch deshalb nicht fremd.
Prof. Dr. David Traill (Davis-
USA): Schliemann‘s trip to
Egypt in 1887
Da weder Virchow noch Sophia
mit ihm auf die Reise den Nil auf-
wärts bis zum zweiten Katarakt
gehen konnten (oder wollten?),
schiffte sich Schliemann am 8.
Dezember 1887 auf seiner Daha-
biye ein, nur begleitet vom Kapi-
tän und 14 Crew-Mitgliedern. Sein
ausführliches Tagebuch (geschrieben auf Altgriechisch), das
er auf seinem dreimonatigen Trip führte, hat Einträge u. a.
von Sakkara, Beni Hassan, Assiut, Sohag, Negada, Esna,
Assuan, der Insel Philae, Wadi Halfa, Abusir, Abu Simbel,
Luxor/Theben und Denderah.
Unter den Höhepunkten, die er notierte, waren die Ring-
kämpfer-Szenen auf den Grabwänden in Beni Hassan, die
Prostituierten, die in Esna im Café Krokodil Domino spiel-
ten, der Tempel der Isis und der „Kiosk des Trajan“ in Philae,
die Aussicht auf den zweiten Katarakt von Abusir und die
Darstellungen der Kleopatra und des Caesarion, die im Tem-
pel von Denderah eingraviert sind.
Aber es waren vor allem die Tempel von Abu Simbel, beson-
ders der von Ramses II., die den größten Eindruck auf ihn
machten und ihn einen emotionalen Brief an seinen Schul-
freund Wilhelm Rust schreiben ließen.
Von außerordentlicher Wichtigkeit für die Datierung der
Schichtenfolge auf seiner Ausgrabung in Troia war seine
„Entdeckung“ einer Bügelkanne in den Wandmalereien im
Grab Ramses III. im „Tal der Könige“ in der Nähe von Luxor.
Dieser Pharao regierte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhun-
derts v. Chr. Also etwa in einer vermuteten Zeit für den „Tro-
janischen Krieg“ (falls er überhaupt ein historisches Ereignis
war). Die Bügelkannen erscheinen in Troia erst in Schicht VI
und wurden dort 1890 erstmals gefunden. Das macht deut-
lich, dass Schliemanns Datierung des „Homerischen Troias“
und des sog. Schatzes des Priamos nahezu 1000 Jahre zu früh
angesetzt war.