Seite 20 Informationsblatt 24 Dezember 2012
Exkursion
großartiges Schulensemble des 19. Jahrhunderts, die alte Bür-
gerschule und die modern wirkende Mädchenschule des Rates
Dr. Wendt, verstellt und machen einen kurzen Besuch im erhal-
tenen Innenstadtteil. In der Neutorstraße wohnte der bekannte
Architekt Tessenow und in der Pfaffenstraße wohnten natür-
lich die „Pfaffen“. Die Kalandsbrüder hatten hier ihr Zentrum
vom 14. Jahrhundert bis zur Reformation. Hier stand das erste
Neubrandenburger Krankenhaus und ebenso sein Anbau – heu-
te eine architektonisch gelungene neugestaltete Zone, daneben
das alte
Schauspielhaus
, das älteste Theatergebäude Mecklen-
burgs! Bereits 1797 wurden hier die „Räuber“ aufgeführt, auch
„Emilia Galotti“ und Goldonis „Diener zweier Herren“. Nach
langer Zweckentfremdung, z. B. als Vulkanisierwerkstatt, ist
es heute wieder ein tolles Theater. An der Ecke Pfaffenstraße/
Stargarder Straße stand das Wohnhaus von Fritz Reuter, dane-
ben das alte Hotel Fürstenhof und nun sehen wir die Innen-
seite des Stargarder Tors mit den Jungfrauen, Engeln und den
klagenden Ratsherren mit leeren Taschen (?). Eine einmalige
figürliche Gestaltung an öffentlichen gotischen Bauten!
Marienkirchplatz – Konzertkirche
Hier ist das alte Zentrum der Stadt, neben dem Marktplatz ge-
legen. Die Kirche gilt als ein Meisterwerk der Backsteingotik.
Der große Giebel ist ein aus Maßwerk vorgesetzter Schmuck,
ohne statische Funktion und angelehnt an die französische Go-
tik. Die Meister sind unbekannt. Jahrzehnte dauerte der Wie-
deraufbau zur Konzertkirche, der schon in der DDR begonnen
wurde. Die Entwürfe dazu stammen von einem finnischen Ar-
chitekten. Sie ist das eigentliche Highlight von Neubranden-
burg, Sitz der großartigen Neubrandenburger Philharmonie und
oft von internationalen Künstlern besucht.
Auf dem Kirchplatz steht das Denkmal für den Pastor Franz
Boll, das von Caspar David Friedrich entworfen wurde. Boll,
der ältere, und sein Sohn Franz waren Pastoren der Marien-
kirche. Dr. Ernst Boll war Privatgelehrter, Naturwissenschaft-
ler und Theologe. Zusammen mit den Familien Brückner und
Ahlers stellten sie den geistigen Mittelpunkt der Stadt im 19.
Jahrhundert dar. Familiäre Beziehungen verbanden sie mit den
Malern Otto Runge und C. D. Friedrich. Letzterer weilte öfter
in Neubrandenburg, und nicht nur das große Stadtbild (heute
in Greifswald), sondern auch zahlreiche Skizzen (Vorlagen für
viele Gemälde) entstanden hier in Neubrandenburg und seiner
Umgebung,
Ein Brückner war mit Johann Heinrich Voß befreundet. Der
Briefwechsel war rege. Voß hat die Gelehrtenschule 1766-69 in
Neubrandenburg besucht, bevor er Hauslehrer in Ankershagen
wurde. Später hat er sich vergeblich um das Rektorat bewor-
ben. Im 19. Jahrhundert unternahmen Boll, Carl Runge zusam-
men mit Otto Runge und Friedrich eine Rügenreise und kamen
in Verbindung mit Kosegarten. Die Welt und der Kreis der Ge-
bildeten war klein und eng verwoben. Die alte Gelehrtenschu-
le, ab 1841 Gymnasium, lag gegenüber dem Kirchplatz, in der
Schulstraße. Das Lessinggymnasium, als Lyzeum 1916 erbaut,
ist sein Nachfolger.
Der Marktplatz
Er liegt neben der Marienkirche und nur durch ein Hotel ge-
trennt. Das alte Rathaus wurde nicht wieder aufgebaut, das
Haus der Kultur und Bildung steht als Denkmal des Städtebau-
es der DDR unter Denkmalschulz. Der Platz war zur Stargarder
Straße nicht offen. Hier stand das Herzogliche Palais in Neu-
brandenburg (1945 zerstört). Unser Gang durch die Innenstadt
zeigt, dass Neubrandenburg vom zweiten Weltkrieg besonders
betroffen war. Es war eine Rüstungsstadt, hatte eine große Gar-
nison und einen Fliegerhorst. Auf dem Tollensesee gab es eine
Torpedoversuchsanstalt. Neubrandenburg war auch Außenla-
ger von KZ und Kriegsgefangenenlager Fünfeichen. Die sog.
Remerstadt (Remer befehligte das Berliner Wachbataillon, das
die Attentäter um Stauffenberg auf dem Hof des Bendlerblocks
erschossen hat) war verhasst.
Das Kriegsende traf die Stadt und ihre Bevölkerung sehr hart
– 80 Prozent der Innenstadt brannten ab, Plünderung und Ver-
gewaltigung sowie hunderte von Selbstmorden waren das Echo
auf die Vergangenheit – und das NKWD-Lager Fünfeichen.
Konzertkirche
An der Konzertkirche