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Seite 22 Informationsblatt 24 Dezember 2012

Exkursion

Dort, wo der erste von ihm erlegte Hirsch zusammenbrechen

werde, soll ein Kloster entstehen, hatte Fürst Heinrich Borwin

I. von Mecklenburg versprochen. Das Jagdglück war dem Fürs-

ten ausgerechnet in einem sumpfigen Gelände hold. Während

die Jagdgesellschaft noch beriet, ob dieses eine gute Idee, ein

geeigneter Bauplatz sei, kam ein edler Schwan herüber ge-

flogen und rief: „dobr, dobr“. So ist der Legende zufolge der

Standort des Zisterzienserklosters bestimmt worden und der

Name „Doberan“ entstanden. Im Slawischen bedeutet „dobr“

gut, wie viele aus dem Russischunterricht wissen. Schwan und

Hirsch finden sich im Wappen von Bad Doberan. Der Schwan

erhielt sogar ein Denkmal: als Holzplastik wurde er um 1830

mit einer Fürstenkrone um den Hals auf hohem Steinsockel vor

der berühmten Klosterkirche aufgestellt.

1186 erfolgte die Gründung des Klosters, des ersten auf meck-

lenburgischem Boden, und es wurde sehr schnell das wohlha-

bendste und mächtigste in Mecklenburg. Die Klosterkirche,

eine dreischiffige Basilika, wurde nach zwei hölzernen und

abgebrannten Vorgängern 1294 als backsteinernes Wunder der

Gotik erbaut. Die Gotik ist eine großartige Erfindung eines

genialen Klosterabtes auf einer französischen Insel und wurde

mit Staunen und Begeisterung in ganz Europa gefeiert. Nur in

Italien konnte sie sich nicht durchsetzen. Ein Geniestreich in

der Architektur! Die Italiener schmollten. Bisher waren sie die

Erfinder und Kompass für jede neue Kunstrichtung in Europa.

Und nun dieses – ohne sie – unverzeihlich!

Betritt man das Münster, betritt man schlagartig eine andere

Welt. Hier ist Gott Licht! Der ganz umfassende Eindruck – Gott

ist Licht – hat mich nirgends so berührt. Wie klein und demütig

kann der Mensch doch hier werden. Der reich vergoldete Hoch-

altar, einer der frühesten deutschen Flügelaltäre überhaupt, gilt

als kunstgeschichtliche Kostbarkeit. In den Flügeln sind Fi-

guren aus dem Alten und Neuen Testament, über zwei Felder

zusammengezogen, dargestellt. So folgt einer Szene aus dem

Leben Christi die Entsprechung des Alten Testamentes – eine

sehr bemerkenswerte Verarbeitung. Besondere Bedeutung hat

die wunderschön gearbeitete Marienleuchte (1290) mit Strah-

lenkranz, Sternenkrone und Mondsichel als Himmelskönigin.

Lustig erscheint ein Pfeiler mit bunten Farbbändern – ganz Ori-

ent. Er wurde von einem Stifter gespendet, der großen Gefallen

am Orient fand und das schon im 14. Jahrhundert!

Der herrliche, schwindelhohe Kirchenraum wird ganz ausge-

füllt mit einem monumentalen Kreuz, 15 m hoch, gearbeitet

aus Eiche. Es stellt einen Lebensbaum dar als Weinstock, ge-

mäß: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Leider ist bei

der Restaurierung 1976 die grüne Farbe bedauernswert poppig

und grell und künstlich geraten. Sehr, sehr schade!

Mein erster Gedanke: „Warum hängt hier völlig unpassend Jeff

Koons?“ In diesem Sommer war in Frankfurt in der Schirn und

im Liebighaus eine großartige und sehr originelle Ausstellung

(vom 20. Juni – 23. September) zu sehen, in der die belang-

losen Nichtigkeiten des modernen Alltags von Jeff Koons mit

Exponaten der Gotik meisterhaft in Zwiesprache traten. Bes-

ser hätte man die Tiefenschärfe einer großartigen Epoche nicht

deutlich machen können, als durch die Oberflächlichkeit eines

Jeff Koons. Doch zurück nach Doberan.

Exkursion nach Bad Doberan und Neubukow

Westseite des Bad Doberaner Münsters (Foto R. Hilse)

Christusseite des Kreuzaltars (Foto N. Kaiser, Wikimedia Commons)