Background Image
Previous Page  115 / 500 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 115 / 500 Next Page
Page Background

115

mos-Schatzes“ über Nacht weltberühmt wurden. Der Name Schliemann hatte nun

wieder einen positiven Klang bekommen! Die Geschwister ahnten nicht, dass

Heinrich eine neue Legende geschaffen hatte, um seiner jungen, ewig kränkeln-

den und unter Einsamkeit leidenden Frau ein Erfolgserlebnis zu verschaffen.

Wir erfahren erstmals etwas über die Lebenswege des Vaters und der Geschwister

Schliemanns nach ihrem Wegzug aus Ankershagen, bekommen Informationen

über ihre Aufenthalts- und Wohnorte in Mecklenburg, Pommern, West- und Ost-

preußen, über ihre Ehepartner sowie Personen aus ihrem Umfeld.

Wir lernen in den Briefen aber auch den privaten Schliemann und seine Persön-

lichkeit besser kennen, erfahren einige Neuigkeiten über seine Charaktereigen-

schaften, Eigenarten, Gewohnheiten, Liebhabereien und sportlichen Betätigun-

gen.

Über Schliemanns religiösen Glauben hatten wir bisher noch keine Kenntnisse.

Dabei finden sich in Schliemanns Briefen eindeutige Äußerungen dazu, die von

dem Sohn eines evangelischen Pfarrers so nicht zu erwarten waren. Ihm scheinen

bereits zu einem frühen Zeitpunkt seines Lebens, angesichts des Fehlverhaltens

seines eigenen Vaters, Zweifel an der Kirchenlehre und deren Verkündern ge-

kommen zu sein. Sie könnten verstärkt worden sein, als sein Vetter Adolph, sein

Vorbild zu dieser Zeit, ein Theologe, der sich intensiv theoretisch mit der Glau-

benslehre auseinandergesetzt hatte und darüber preisgekrönte wissenschaftliche

Schriften veröffentlicht und Vorlesungen gehalten hatte, plötzlich „zu zweifeln“

begonnen hatte. Adolph hatte die Konsequenzen daraus gezogen und sich erfolg-

reich der Jurisprudenz zugewandt. Schliemann glaubte an einen Gott im Sinne

des Alten Testaments, äußerte aber Zweifel am Evangelium des Neuen Testa-

ments, an der Existenz des Gottessohnes und glaubte nicht an eine Auferstehung

nach dem Tode. Den Religionen gegenüber verhielt er sich tolerant, ließ seine

Kinder im russisch- und griechisch-orthodoxen Glauben taufen und erziehen.

Wir erfahren überraschende Details aus seinem Leben, z. B., dass er im Jahre

1867 Mitglied einer Pariser Freimaurerloge geworden und dies bis zu seinem Le-

bensende geblieben war, vernehmen zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges,

als er um die Existenz seiner Wohnung, seiner Bibliothek und Gemälde und sei-

ner vier Mietshäuser in Paris fürchtete, wuterfüllte Hasstiraden gegen den preu-

ßischen Staat, dessen König Wilhelm I. und Kanzler Bismarck. Sein Standpunkt

änderte sich, als er Bismarck 1879 in Bad Kissingen kennenlernte und dieser sich

für seine Ausgrabungen interessierte. Von nun an machte er sich dessen Unter-

stützung zunutze und huldigte Kaiser Wilhelm I. mit der Schenkung seiner Troja-

nischen Sammlung an das deutsche Volk.