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mos-Schatzes“ über Nacht weltberühmt wurden. Der Name Schliemann hatte nun
wieder einen positiven Klang bekommen! Die Geschwister ahnten nicht, dass
Heinrich eine neue Legende geschaffen hatte, um seiner jungen, ewig kränkeln-
den und unter Einsamkeit leidenden Frau ein Erfolgserlebnis zu verschaffen.
Wir erfahren erstmals etwas über die Lebenswege des Vaters und der Geschwister
Schliemanns nach ihrem Wegzug aus Ankershagen, bekommen Informationen
über ihre Aufenthalts- und Wohnorte in Mecklenburg, Pommern, West- und Ost-
preußen, über ihre Ehepartner sowie Personen aus ihrem Umfeld.
Wir lernen in den Briefen aber auch den privaten Schliemann und seine Persön-
lichkeit besser kennen, erfahren einige Neuigkeiten über seine Charaktereigen-
schaften, Eigenarten, Gewohnheiten, Liebhabereien und sportlichen Betätigun-
gen.
Über Schliemanns religiösen Glauben hatten wir bisher noch keine Kenntnisse.
Dabei finden sich in Schliemanns Briefen eindeutige Äußerungen dazu, die von
dem Sohn eines evangelischen Pfarrers so nicht zu erwarten waren. Ihm scheinen
bereits zu einem frühen Zeitpunkt seines Lebens, angesichts des Fehlverhaltens
seines eigenen Vaters, Zweifel an der Kirchenlehre und deren Verkündern ge-
kommen zu sein. Sie könnten verstärkt worden sein, als sein Vetter Adolph, sein
Vorbild zu dieser Zeit, ein Theologe, der sich intensiv theoretisch mit der Glau-
benslehre auseinandergesetzt hatte und darüber preisgekrönte wissenschaftliche
Schriften veröffentlicht und Vorlesungen gehalten hatte, plötzlich „zu zweifeln“
begonnen hatte. Adolph hatte die Konsequenzen daraus gezogen und sich erfolg-
reich der Jurisprudenz zugewandt. Schliemann glaubte an einen Gott im Sinne
des Alten Testaments, äußerte aber Zweifel am Evangelium des Neuen Testa-
ments, an der Existenz des Gottessohnes und glaubte nicht an eine Auferstehung
nach dem Tode. Den Religionen gegenüber verhielt er sich tolerant, ließ seine
Kinder im russisch- und griechisch-orthodoxen Glauben taufen und erziehen.
Wir erfahren überraschende Details aus seinem Leben, z. B., dass er im Jahre
1867 Mitglied einer Pariser Freimaurerloge geworden und dies bis zu seinem Le-
bensende geblieben war, vernehmen zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges,
als er um die Existenz seiner Wohnung, seiner Bibliothek und Gemälde und sei-
ner vier Mietshäuser in Paris fürchtete, wuterfüllte Hasstiraden gegen den preu-
ßischen Staat, dessen König Wilhelm I. und Kanzler Bismarck. Sein Standpunkt
änderte sich, als er Bismarck 1879 in Bad Kissingen kennenlernte und dieser sich
für seine Ausgrabungen interessierte. Von nun an machte er sich dessen Unter-
stützung zunutze und huldigte Kaiser Wilhelm I. mit der Schenkung seiner Troja-
nischen Sammlung an das deutsche Volk.