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Seite 29

Informationsblatt 28 März 2017

Sonderausstellung

Nach ihrem Abschluss als Fotodesignerin führte Sandra Ber-

gemann das Projekt weiter, weil es, wie sie sagt, „einfach so

wichtig war“. Sie wollte nicht nur den DEFA-Schauspielern

ein Denkmal setzen, sondern auch den Prozess, der in Gang

gekommen war, weiter verfolgen. Denn es geht bei diesem Pro-

jekt vor allem um Geschichte. Sandra Bergemann setzte sich

zum Ziel, gelebtes Leben in Bildern zu zeigen. Dabei porträ-

tiert sie die DEFA-Schauspieler und würdigt zum einen diese

Persönlichkeiten, zum anderen versteht sie diese auch als Me-

dium, um ein zeithistorisches Denkmal zu setzen.

2006 hatte sich schließlich ein Verlag gefunden, der die Ar-

beit publizieren wollte. Noch zwei Jahre lang arbeitete sie mit

großer Beharrlichkeit auf das Finale zu: einige weitere Schau-

spieler und Schauspielerinnen wurden fotografiert, teilweise

bis eine Woche vor Manuskriptabgabe beim Verlag. Mit der

Herausgabe der Publikation „Gesichter der DEFA“ (2008 bei

Edition Braus) beendete Sandra Bergemann ihr Projekt. Doch

die Geschichten gehen weiter, arbeiten weiter, reisen weiter.

Die heutige Ausstellung ist die 30. Ausstellung dieser Serie –

parallel sind derzeit weitere Arbeiten aus dem Zyklus im IBB

Blue Hotel in Berlin zu sehen – eine bemerkenswerte Bilanz

im Jahre 2016, dem Jahr, in dem die DEFA ihren 70. Geburts-

tag begeht.

Es sind nicht nur die Gesichter die sprechen, sondern auch die

Orte, an denen Sandra Bergemann ihre Figuren aufnimmt und

inszeniert. Diese Orte sind frei gewählte, persönliche Orte, die

für die Akteure eine wichtige Bedeutung haben: zum Beispiel

Rolf Hoppe am Elbufer in Dresden, den Blick auf das gegen-

über liegende Theater gerichtet, erinnert sich, für den Betrach-

ter auch ohne Bildunterschrift zu erschließen, an seine vielen

Jahre am Staatstheater in Dresden.

Zu den Portraits werden Interviews mit den Schauspielern in

Beziehung gesetzt. Einige Texte bestanden schon, andere wur-

den nach den Aufnahmen von verschiedenen Journalisten ge-

führt. In ihrer Publikation fügt die Fotografin Versatzstücke

der Interviews so geschickt zusammen, dass ein Querschnitt

der letzten Jahrzehnte deutscher Geschichte entstanden ist.

Aus diesen Interviews werden Textausschnitte unter die Fo-

tografien gesetzt. So bilden die 1x1 Meter großen Fotografien

mit den kleinen 40 cm mal 40 cm Portraits und den Zitaten eine

erzählerische Wechselwirkung. Den großformatigen stehen

die kleinen, wesentlich intimeren Portraits gegenüber. Diese

brauchen einen Rahmen, als bräuchten sie Schutz, um „nicht

aus dem Rahmen zu fallen“.

Und es geht immer wieder um Nähe und Distanz: wie weit

wird der Betrachter in die persönliche und private Geschichte

der Figur hineingelassen? Welche Distanz wird gefordert, wel-

che Nähe zugelassen?

Bergemann stieß im Prozess des Projektes aber auf viel kom-

plexere Zusammenhänge: Ausgelöst wurde die Auseinander-

setzung mit den eigenen biografischen Wurzeln in der Ver-

bindung mit den Biografien der Protagonisten. Bergemanns

Intention erreicht den Betrachter, denn zu unmittelbar sind

die Portraits, um dieser Reflektion ausweichen zu können. So

stehen sich die drei Ebenen „Betrachter – Figur – Fotografin“

wechselwirkend und ineinandergreifend gegenüber.

Es ist die Gegenwärtigkeit der Blicke, auch wenn diese oft nach

innen gerichtet sind wie bei Annekathrin Bürger im Foyer der

Volksbühne, die die „Gesichter der DEFA“ erzählen. Verbales

und nonverbales Erzählen zieht sich wie ein roter Faden durch

die gesamte Serie. Und in jedem Motiv ist der individuelle Mo-

ment der Begegnung mit der Fotografin ebenso sichtbar, fühl-

bar, ertastbar, wie die Authentizität der Situation.

Sandra Bergemann wählt das quadratische Format, in welchem

sie die Figur in einem räumlich klar zugeschnittenen Kontext

inszeniert: Jörg Schüttauf im eigenen Garten, Horst Schulze

auf dem Bootssteg vor seinem Haus, oder Angelica Domröse,

die sich ein Portrait auf einem Balkon wünschte. Für sie war

es wichtig, im Hintergrund den Berliner Funkturm in Charlot-

tenburg zu sehen, Symbol ihrer neuen Heimat nach ihrer Aus-

reise aus Ost-Berlin 1980 gemeinsam mit Hilmar Thate. Thate

verstarb letzte Woche im Alter von 85 Jahren in Berlin. Berge-

mann zeigt ihn in ihrem Portrait an einem seiner Lieblingsorte:

vor dem Kino „Die Kurbel“ in Charlottenburg, lässig, mit aus-

gestrecktem Bein auf einer Bank sitzend. Thate, zweifelsohne

einer der Großen, „der Unerschrockene“, wie Regine Sylvester

ihn liebevoll und würdigend, in ihrem Nachruf in der Berliner

Zeitung nennt; unvergesslich auch die persönliche Begegnung

mit Thate zu einer der Ausstellungseröffnungen von „Gesich-

ter der DEFA“ vor einigen Jahren: unerschrocken, ja! und un-

geheuer wach, scharfsinnig und humorvoll, agil. Diese Züge

sind in Bergemanns Portrait konzentriert zusammengefasst,

auf den Punkt gebracht und eingefangen – und bleiben nun

umso manifester in Erinnerung, auch über den Tod hinaus.

Die Orte sind auch Orte erzählerischer Kraft, Orte, die für sich

sprechen, mit der Persönlichkeit sprechen und gleichsam mit

dem Betrachter in den Dialog treten. Dabei stehen sich den-

noch Inszenierung, wie im Portrait von Armin Müller-Stahl,

und die unvorhergesehene Momentaufnahme, wie die von

Eva-Maria Hagen auf dem Gendarmenmarkt, rhythmisch ge-

genüber. Müller-Stahls klarer Blick und seine aufrechte Hal-

tung erinnern an ein aristokratisches Auftrags-Gemälde, ein

klarer Bildaufbau, die würdevoll inszenierte Figur im Zent-

rum. Eva-Maria Hagen hingegen sieht man in einer Moment-

aufnahme, unerwartet, in dem sie sich ihren rechten Strumpf

nach oben zieht, eine kleine, private Geste, scheinbar nebenbei.

Großer Andrang bei der Ausstellungseröffnung