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Seite 61

Informationsblatt 27 März 2016

Beiträge und Berichte

Schliemann ohne Hallstatt?!?

1

Wie jeder Mensch, so muss selbstverständlich auch die Person

H. Schliemann im Kontext ihrer Zeit gesehen werden

2

. Dies

gilt ebenfalls für das Werk eines Menschen, das in Bezug auf

Schliemann und die Archäologie jüngst noch einmal von R. Witte

zusammengefasst

3

und ebenfalls erst vor wenigen Jahren von St.

Samida monographisch

4

dargestellt wurde

5

.

Was das Leben Schliemanns aber u. a. auch auszeichnet, ist

eine Reisetätigkeit, die selbst für das 21. Jh. bemerkenswert

wäre

6

. Aus den Tagebüchern und Briefen erfahren wir neben

den Namen von Hotels, in denen Schliemann abgestiegen ist,

oder von Dampfern, mit denen er gereist ist, aber etwa auch,

welche Museen und Sammlungen Schliemann besichtigt

hat

7

. Ergänzende Rückschlüsse auf weitere Museumsbesuche

liefern zudem Verweise Schliemanns auf „Parallelen“ zu

von ihm ausgegrabenen Objekten in seinen Publikationen

8

. –

Schliemann war sich also bewusst, wie wichtig eine möglichst

große „Materialkenntnis“ ist, und erst die Entwicklungen des

3D-Scanners und vor allem auch 3D-Druckers könnten den Wert

von Museumsbesuchen für die archäologischen Wissenschaften

verändern.

Bei Schliemanns Reisen sind nun für 1864, 1880 und 1882

Aufenthalte in Wien belegt, aus der publizierten Literatur ist

mir aber keine Besichtigung der prähistorischen Funde im

Naturhistorischen Museum bekannt

9

– dabei gab es ab 1876,

noch nicht im heutigen Komplex, der erst 1889 eröffnet wurde,

eine prähistorische Sammlung als Teil der Anthropologisch-

ethnographischen Abteilung

10

. Vermutlich hat „der Archäologe“

Schliemann diese Sammlung nicht besucht, was angesichts

der beeindruckenden Zahl von höchstwahrscheinlich

besuchten Museen und Sammlungen überraschen würde –

„konsequenterweise“wird es aber auch fürmögliche Parallelfunde

von Schliemann nicht zitiert. – Was dabei in meinen Augen nun

bemerkenswert ist, ist folgendes: In Wien, im k. k. Münz- und

Antikenkabinett/in der prähistorischen Sammlung, befanden sich

ab den 1850er Jahren, also deutlich vor Beginn von Schliemanns

Ausgrabungen in Troja, die Funde von Bergwerksmeister J. G.

Ramsauer (1795–1874) aus Hallstatt

11

. Diese hatte Ramsauer

zwischen 1846 und 1863 ausgegraben; es handelt sich u. a. um

eine große und bis heute ausgesprochen bedeutende Nekropole

aus der älteren Eisenzeit, von der Ramsauer 980 Gräber freilegte

und nicht nur für die damalige Zeit auf beachtliche Weise

1 Für Gedankenaustausch zum Thema danke ich Dr. St. Samida und Dr. M.

Zavadil herzlich.

2 Nur zitiert seien Samida 2012, 78 und Witte 2013, 131 f.

3 Witte 2013, 131–134. Siehe auch Witte 2003, 16.

4 Samida 2012 (S. 11 mit den Zielen ihrer Studie).

5 Eine Vielzahl weiterer relevanter Beiträge liefern z. B. die Tagungsakten

Calder III/Cobet 1990; Herrmann 1992; Bölke 1997; Bölke 2001; Witte/

Bölke 2011; Witte 2016.

6 Vgl. Mühlenbruch 2010.

7 Mühlenbruch 2010, 51–54.

8 Schliemann 1881, 857; Schliemann 1884, 438; Schliemann 1886, 465 f.

– Da Museumsführer aus dem 19. Jh. nicht in dem Maße wie heute mit

Abbildungen ausgestattet sind, setze ich zumindest für die meisten der von

Schliemann genannten Museen auch eine Besichtigung durch ihn voraus.

Als Beispiel, allerdings schon aus dem Jahr 1909: von Hauer 1909.

9 Mühlenbruch 2010, 51 f..

10 Barth/Lötsch 1996;

http://www.nhm-wien.ac.at/museum/geschichte__

architektur/ein_neues_museum (12.03.2016).

11 Barth/Lötsch 1996; Pertlwieser 1996, 22.

dokumentierte

12

. Vergleichbar mit Schliemann sorgte Ramsauer

für das Bekanntwerden seiner Funde und wandte sich dabei

auch an den Hochadel: 1865 schickte er Napoleon III. einen

Fundkatalog nach Paris, wofür er von diesem geehrt wurde

– wenn auch nicht, wie erhofft, zum Ritter der Ehrenlegion

ernannt

13

. Wurde Schliemann 1876 bei seinen Grabungen in

Mykenai vom brasilianischen Kaiser Dom Pedro II. besucht

14

, so

war Ramsauer 1855 die Ehre zuteil geworden, u. a. Kaiser Franz

Joseph I. und Kaiserin Elisabeth auf der Grabung begrüßen zu

dürfen

15

. Die Bedeutung des Gräberfeldes von Hallstatt und auch

sein Bekanntheitsgrad schon in den 1870ern spiegelt sich auch

darin wider, dass der schwedische Archäologe H. Hildebrand

1874 von einer „groupe de Hallstatt“ sprach

16

.

Trotzdem findet Hallstatt in den von Schliemann publizierten

Dokumenten fast keinen Widerhall – dies gilt auch für die

Korrespondenz mit dem Arzt und Pathologen R. Virchow, der

ja gerade an menschlichen Überresten interessiert war: Bei der

Publikation der Trojagrabung 1882 geht Schliemann zwar auf

einen Beitrag Virchows zu Koban ein, in dem das Gräberfeld von

Hallstatt genannt wird

17

; der Nachsatz in einemBrief Schliemanns

an Virchow vom 19. August 1889 („In Hallstatt ist doch nichts

gefunden worden, was mit Troja oder Mykene Ähnlichkeit

hätte?“), der von Virchow am 24. August beantwortet wurde

18

,

lässt darauf schließen, dass Schliemann mit dem relevanten

Befund und der dortigen Ausgrabung höchstens oberflächlich

vertraut war. Dies sei Schliemann in keiner Weise vorgeworfen;

die Befunde in Hallstatt stehen ja in keinerlei Verbindung mit

der ägäischen Bronzezeit bzw. der „Homerarchäologie“ als

Forschungsfeld Schliemanns

19

, doch kannte Schliemann Stätten

und Funde aus den unterschiedlichsten Zeiten und Regionen –

etwa das oben genannte Koban im Kaukasus

20

– , bezog sich auf

Funde auch aus Museen außerhalb des ostmediterranen Raumes

(z. B. Berlin, Budapest, Kopenhagen, London, Paris

21

), stand im

Austausch mit vielen Altertums- und Naturwissenschaftlern und

beteiligte sie an seinen Grabungen

22

. Ebenso war auch Ramsauer

ein Pionier als Ausgräber, der seine Grabungen aber deutlich

vor Schliemann begonnen hatte. Dementsprechend hätte sich

in meinen Augen eine Beschäftigung Schliemanns mit Hallstatt

und seinem Ausgräber

23

angeboten, hätte dies u. U. Schliemanns

Dokumentationsweise bei seinen Trojagrabungen 1870/1871–

1873 bei allen Unterschieden zwischen den Befunden (Tell

versus Gräberfeld) beeinflussen können.

12 Pertlwieser 1996, besonders 16.

13 Pertlwieser1996,20–25.–VergleicheSchliemannunddieEhrenbürgerschaft

Berlins: Etwa Witte 2013, 109–111.

14 Schliemann 1878, 167 f..

15 Pertlwieser 1996, 20–22.

16 Pertlwieser 1996, 20.

17 Schliemann 1884, 317 f. Anm..

18 Herrmann/Maaß 1990, 511–514, Nr. 535, 537.

19 So auch Einschätzung St. Samida (e-Mail vom 04.04.2016), für die ich

danke.

20 Schliemann 1886, 27–32 führt die „Kyklopenmauern“ von Tiryns auf die

Phöniker zurück etc.

21 Etwa Schliemann 1881, 857.

22 Siehe nur die Verfasser von Kapiteln etc. in Schliemanns Publikationen.

23 Unter

http://www.ascsa.edu.gr/pdf/uploads/Schliemann_Incoming_R.pdf

(12.03.2016) bzw.

http://www.ascsa.edu.gr/pdf/uploads/Schliemann_

Out_R.pdf (12.03.2016) ist kein Briefwechsel mit Ramsauer verzeichnet.

Schliemann ohne Hallstatt?!?

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