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Die Luwier:
Bindeglied zwischen Mykenern und Hethitern
Eberhard Zangger, Serdal Mutlu und Fabian Müller
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Problemstellung
Zwischen 1870 und 1910 entdeckten westeuropäische Abenteurer und Gelehrte
eine Reihe wichtiger Siedlungsstätten in der Türkei, auf dem griechischen Fest-
land und auf Kreta, die deutlich älter waren als der bis dahin bekannte Beginn
der europäischen Geschichtsschreibung. Auf Initiative und Kosten des deutschen
Großhändlers Heinrich Schliemann begannen 1870 die ersten großflächigen Aus-
grabungen auf dem Hügel Hisarlık (türkisch für „Siedlungshügel mit Burg“) im
Nordwesten Kleinasiens, wo verschiedene Geologen und Hobbyforscher Troja
vermuteten. Durch seine Erfolge in der Türkei ermutigt, führte Schliemann an-
schließend auch Grabungen in Mykene, Tiryns und Orchomenos in Griechenland
durch. Nachdem Kreta 1898 Autonomie vom Osmanischen Reich erlangt hatte,
begannen rund ein Dutzend Ausgrabungen auf der Insel, allen voran in Knossos
unter der Leitung des britischen Archäologen Arthur Evans. 1906 lancierte der
Berliner Assyriologe Hugo Winckler Grabungen in Hattuša in Zentralkleinasien.
Durch die Erforschung von Troja, Mykene, Knossos, Hattuša und vielen anderen
Fundstätten kamen Kulturen ans Licht, die bereits über tausend Jahre vor der klas-
sischen Antike bestanden hatten.
Die Altertumskundler standen nun vor der Aufgabe, das neu erworbene Wissen
über die frühen Kulturen der Ägäis-Anrainer zu strukturieren. Um 1920 schuf
daher Arthur Evans die noch heute weitgehend gültige dreiteilige Chronologie
(Früh-, Mittel-, Spätbronzezeit) für das 3. und 2. Jt. v. Chr. und legte damit das
eigentliche Fundament für die neue Disziplin „Ägäische Frühgeschichte“. Evans
hatte drei große Regionen vor sich: Kleinasien, Festlandgriechenland und Kre-
ta. Und er hatte in jeder dieser Regionen einen Ort mit besonderer Bedeutung:
Troja, Mykene und Knossos. Er definierte letztlich auch drei Kulturkreise, von
denen jedoch nur zwei mit den zuvor genannten Regionen und Hauptorten über-
einstimmten (Abb. 1). Knossos war für Evans das Zentrum der minoischen Kul-
tur; Mykene das der mykenischen Kultur in Südgriechenland. Troja hingegen ließ
Evans isoliert stehen. Stattdessen wies er den Ägäis-Inseln einen eigenen, den
kykladischen Kulturkreis zu, auch wenn diese über keinen Hauptort verfügten und
im 2. Jt. v. Chr. keine Machtstellung innehatten. Hattuša blieb zunächst ebenfalls
außen vor.