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Informationsblatt 30 Februar 2019
Buchtipps
Eigentlich hätten sie zusammarbeiten müssen, sich ergänzen
können: der verstorbene Troiaausgräber Manfred Korfmann
und der Geoarchäologe Eberhard Zangger. Das aber verhinderte
der unersprießliche Spannungszustand zwischen beiden, unter
dem besonders Zangger zu leiden hatte. Insofern trägt das Buch
auch autobiographische Züge, die sich in das wissenschaftshi-
storische Gesamtbild von Troia, dem Hethiterreich, der Region
Kleinasien samt der dort vorkommenden Völker und Sprachen
zwanglos einfügen.
Im neuen Streit umTroia, der in zwei wissenschaftlichen Konfe-
renzen 2001/2002 in Heidelberg und Tübingen gipfelte, standen
sich zwei Standpunkte hinsichtlich von Größe und Bedeutung
des Orts unversöhnlich gegenüber. Während die einen Troia auf
das Niveau eines Piratennestes herabstuften, verteidigte das
Ausgräberteam um Korfmann dessen Größe – Burg mit Unter-
stadt – und überregionale Bedeutung als Handelszentrum. Hier
nun hätte Korfmann die Unterstützung Zanggers gebraucht, der
sich der Erforschung der spätbronzezeitlichen Territorial- und
Machtstrukturen in Kleinasien zugewandt und wiederholt den
grundsätzlichen Zusammenhang von politischer Geschichte
und Geographie betont hatte. Seine kühne und nicht unbedingt
nachvollziehbare Vision von Troia als dem untergegangenen
Atlantis scheint Korfmann jedoch derart verprellt zu haben, so
dass die Wege beider nicht mehr zusammenführten. Damit war
die Chance einer gemeinsamen, nutzbringenden wissenschaft-
lichen Kooperation vertan worden.
Zangger war und ist, wie schon viele vor ihm, der festen Über-
zeugung, dass im westlichen und mittleren Teil Kleinasiens
am Ende der Bronzezeit nicht etwa ein historisches Vakuum
existierte, sondern hier eine Bevölkerung mit eigener Spra-
che, eigenen kulturellen Vorstellungen und politischen Struk-
turen lebte, die so genannten Luwier. Ihre faszinierende Ent-
deckungsgeschichte, die er immer wieder auf Troia projiziert,
stellt Zangger in seinem bemerkenswert lehrreichen Buch dar.
Vier Komponenten tragen es: eine archäologische und wissen-
schaftshistorische, eine kultur- und sprachgeschichtliche und –
wie bereits gezeigt – eine menschliche Komponente.
Dass die Gebiete im Inneren Kleinasiens spatenwissenschaft-
lich erst ungenügend erschlossen sind, dürfte allgemein bekannt
sein. Zangger spricht – bezogen auf die Bronzezeit – sogar von
einem „der größten Rätsel der Archäologie“. Es zu lösen, bedarf
weiterer Ausgrabungen sowohl zentraler Orte als auch der weit
schwierigeren Aufdeckung der regionalen Infrastruktur, um die
Dichte der spätbronzezeitlichen Besiedelung festzustellen und
die Kommunikationslinien zwischen den jeweiligen politischen
und ökonomischen Zentren aufzuspüren.
Hinzu kommt die Auswertung des hinterlassenen keilschriftli-
chen und des selteneren hieroglyphischen Materials, das wich-
tige, zum Teil noch nicht vollständig entschlüsselte Informa-
tionen enthält. In diesem Zusammenhang wird der Leistungen
und Lebensgeschichten jener Sprachpioniere gedacht, die sich
Schritt für Schritt in die kleinasiatische Sprachenwelt hineinar-
beiteten, so z. B. der tschechische Autodidakt Bed
ř
ich (Fried-
rich) Hrozny, der die Tür ins Hethitische aufstieß, oder der ihm
Hilfestellung leistende norwegische Linguist Jørgen Alexander
Knudtzon oder der mit starkem akademischen Widerstand zu
kämpfende Schweizer Emil Forrer. Erinnert wird gleichfalls an
den schottischen Archäologen James Mellaart, der angeblich
1
bahnbrechende Entdeckungen im Süden bzw. Südwesten der
Türkei machte und die europäischen Vorstellungen über die Ur-
sprünge der europäischen Kultur beträchtlich ausweitete.
Nicht umgangen werden kann natürlich die Entdeckungsge-
schichte Troias, die Zangger entrümpelt und abermals von
allem romantisierenden Beiwerk befreit. Es gab weder den
Schliemannschen Traum von Troja noch eine langfristige Vor-
bereitung seinerseits auf dieses angebliche Lebensziel. Der Zu-
fall - Schliemann hatte das Schiff nach Istanbul verpasst - war
entscheidend, die Begegnung mit Frank Calvert am 15. August
1868 in Çanakkale (Dardanellen).
Calvert ahnte, wo Troja lag, besaß aber nicht die Mittel, um
dort zu graben. Über sie verfügte aber der finanzkräftige Schlie-
mann, der aufmerksam zuhörte, die Chance seines Lebens wit-
terte und sie ohne Zögern ergriff.
Zum Schluss geht Zangger noch auf die 1878 in Beyköy aufge-
fundene luwische Hieroglypheninschrift ein, die weiterhin viele
Rätsel aufgibt. So enthält sie über 150 Orts- und Ländernamen,
von denen zwei Drittel bisher nicht zuzuordnen sind. „Die Wie-
derentdeckung der Luwier und damit eine Zeit großer Durch-
brüche in der [kleinasiatischen – Rez.] Archäologie hat gerade
erst begonnen“, lautet Zanggers Fazit.
Armin Jähne
1 Zu den neueren Fälschungsvorwürfen und die Reaktion von Zangger darauf
s. u. a. „Der Spiegel“ 11/2018, S. 110.
Rezension zu: Eberhard Zangger: Die Luwier und der Trojanische Krieg.
Eine Entdeckungsgeschichte. orell füssli Verlag. Zürich 2017. 352 S., 44 Abb., geb. 25. -
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