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Seite 46 Informationsblatt 23 Dezember 2011

Berichte und Beiträge

Ein würdiges Gedenken zum Leben und Werk ei-

nes Hundertjährigen? Die Frage beschäftigte mich als

Nachlassverwalter und ich hoffte, dass von Jürgen Israel eine

Stoll-Biografie im Herbst 2010 erscheinen könnte. In den

letzten 33 Jahren nach Stolls Tod waren viele Artikel mit ei-

nem mehr oder weniger umfangreichen Lebenslauf und mei-

nen persönlichen Erinnerungen an gemeinsam verbrachte

Tage veröffentlicht worden. Der von mir am 19. 11. 1999 im

Heinrich-Schliemann-MuseumAnkershagen gehaltene Vortrag

„Der mecklenburgische Schriftsteller Heinrich Alexander

Stoll und sein Erfolgsroman Der Traum von Troja“ kann im

Informationsblatt Nr. 15 der HSG vom November 2003 nach-

gelesen werden.

Jürgen Israel, der in Neuenhagen bei Berlin lebende Autor,

Herausgeber, Journalist und Lektor, Jahrgang 1944, lebte 1972

fünf Monate im Hause Stoll, half im Hauswirtschaftlichen und

ordnete die Bibliothek. Er hat sich vorgenommen, das Leben

und vor allem das Werk Stolls aus dem Blickwinkel eines

Germanisten für die Literaturgeschichte aufzuarbeiten und zu

veröffentlichen. „Ich komme nicht weiter“, war die ernüch-

ternde Auskunft von Jürgen Israel, als ich ihn im Herbst vo-

rigen Jahres vor dem runden Geburtstag hoffnungsvoll anrief:

„Verdacht, Schuldvorwürfe, Hass, das ganze undurchdring-

liche Dunkel der Nachkriegsjahre haben so viel Zündstoff in

Stolls Geburtsort Parchim hinterlassen, dass ich all die offenen

Fragen nicht übergehen kann.“ Gern wolle er sich aber mit dem

jetzigen Arbeitsstand in Gedenkveranstaltungen einbringen,

versprach er mir.

PersönlicheZweifel, obStoll heute überhaupt noch von Interesse

ist, hemmten meine Ideen bei der Vorbereitung des runden

Geburtstages. Vielleicht, bei einigen älteren Thyrowern, die ihn

kannten, ja - aber besteht nicht die Gefahr, dass aus Gedenken

auch Pflichtübung werden kann? Da erreichte mich der Anruf

einer Historikerin, die im Literaturkreis des Nachbarortes auf

Stoll aufmerksam geworden war. Sie hatte sich mit ihm be-

schäftigt und wurde in seinen Bann gezogen. Das machte

mir Mut. Nach einem anregenden Nachmittagsgespräch mit

Frau Prof. Dr. Evamaria Engel entstand ihr „Versuch über H.

A. Stoll“. Besonders hinterfragt sie in dieser Studie die von

Gefangenschaft geprägten Jahre 1945 bis 1953. Sie hebt in-

teressante Zusammenhänge hervor und analysiert die ihr zur

Verfügung stehenden Quellen. Aus den angefragten Archiven

erhält sie so kurzfristig keine neuen Erkenntnisse, weil

Unterlagen aus dieser Zeit fehlen oder schon vernichtet sind.

Frau Prof. Engel ebnete mir den Weg zur „Stiftung Sächsischer

Gedenkstätten“, die eventuell Auskünfte über Stolls Haftzeit

in der Sowjetunion von 1950 bis 1953 erhalten kann. Was

lag also näher, als Frau Prof. Engel auch zu fragen, ob sie in

der „Märkischen Allgemeinen“ den Gedenkartikel zum 100.

Geburtstag aus einem neuen Blickwinkel schreiben würde. Ich

war ihr dankbar, als sie einwilligte.

Im November 2010 signalisierte mir die freie Mitarbeiterin

des NDR, Lenore Lötsch, dass der Hörfunk an einem Beitrag

zum Stoll-Jubiläum interessiert sei. Ich schlug ihr vor, bei

der Veranstaltung am ersten Advent in der Thyrower Kirche

Eindrücke zu sammeln, denn die Schauspieler Eva-Maria

Radoy und Ulrich Radoy werden den Abend gestalten. Als

Radoys vor sieben Jahren nach Thyrow in die Heinrich-Stoll-

Straße gezogen sind, haben sie sich gefragt, wer dieser Heinrich

Stoll eigentlich ist. Sie recherchierten und fanden sogar in ih-

rem Bücherschrank Werke von Stoll.

Am Nachmittag des ersten Adventssonntages in der gut ge-

füllten Dorfkirche erlebten die Besucher auch eine szeni-

sche Darstellung, wie es gewesen sein könnte, als sich Stoll

1964 bei der Restaurierung der Kirche an archäologischen

Grabungen beteiligte, was zu mancherlei Konflikten mit an-

deren Behörden führte. Aufgelockert wurde das Programm

durch den Posaunenchor Trebbin. Auch der Weihnachtsabend

der Familie Schliemann im Ankershagener Pfarrhaus erschien

lebendig vor den Augen der Zuhörer, als jener Abschnitt aus

Stolls Erfolgsroman „Der Traum von Troja“ in den Advent

einstimmte, der beschreibt, wie der achtjährige Heinrich den

Entschluss gefasst haben soll, Troja auszugraben.

Bei der mit verteilten Rollen gelesenen Anekdote „Das Bild

des Papstes“ löste sich die aufgebaute Spannung erst mit dem

Schlusssatz in einem herzlichen Lachen. Stoll besaß hinter-

gründigen Humor: Papst Leo XIII. ließ sich porträtieren. Das

wenig geglückte und ihm nicht einmal ähnliche Meisterwerk

sollte auf Wunsch des Künstlers als Postkarte vervielfältigt

werden. Der Namenszug und ein vom Papst gewähltes Motto

müsste die Reproduktion vervollkommnen, bat der Maler.

Leo XIII. konnte die Bitte nicht abschlagen und vermerkte

am Bildrand „Matth. 14, 27“. Glücklich brachte der Maler die

Vorlage zum Drucker, der viele Tausend Exemplare herstellte.

Voller Papstvertrauen auf ein gutes und heiliges Wort hatte aber

niemand in der Bibel nachgeschlagen. Erst Käufer lasen bei

dem angegebenen Vers: „Seid getrost, ich bin es! Fürchtet euch

nicht!“.

Die „Märkische Allgemeine“ resümierte: „Fesselnde

Veranstaltung zum 100. Geburtstag des Thyrowers. ...

Gespräche, Glühwein und Lebkuchen rundeten den gelun-

genen Nachmittag ab.“ Welche Aufzeichnungen werden sich

wohl in der Sendung des NDR wiederfinden? Das verriet Frau

Lötsch noch nicht, als mit ihr der Abend bei Gesprächen über

Stoll ausklang.

Einige Wochen später hielt ich die von Frau Lötsch verspro-

chene und neugierig erwartete CD der NDR 1-Hörfunksendung

Radio MV „Kunstkaten“ vom 12. 12. 2010 in der Hand.

Unterschiedlichste Personen kommen zu Wort, geleitet von ei-

ner lebendigen Moderation. Es wird deutlich, wie verschieden

Stolls Nachhall wirkt, sachlich kritisch aus dem Blickwinkel

des Parchimer Museumsleiters Herrn Kaelcke, objektiv und

persönlich von Jürgen Israel und Burkhard Unterdörfer, dank-

Vielfältiges Gedenken zum 100. Geburtstag des Schriftstellers und

Schliemann-Forschers Heinrich Alexander Stoll