Seite 42 Informationsblatt 23 Dezember 2011
Berichte und Beiträge
Wilhelm Körner (Abb. 1) wurde als einer von drei Söhnen
in Jessnitz an der Mulde (Anhalt) in kleinbürgerlichen
Verhältnissen geboren. Der Vater war Tuchmacher. Alle
drei Söhne besuchten das Gymnasium mit Internat in Zerbst
(Anhalt). Jessnitz hatte kein Gymnasium. Wilhelm lernte
dort Russisch, da er bei einer russisch sprechenden Familie
wohnte. Auf mehreren Russlandreisen erweiterte er seine
Sprachkenntnisse und veröffentlichte 1892 ein „Ausführliches
Lehrbuch der russischen Sprache“ mit 624 Seiten im Verlag Fr.
Aug. Eupel, Sondershausen (Abb. 2).
Seine berufliche Laufbahn startete er als Gymnasiallehrer.
Ausgangspunkt für seine Leidenschaft für Sprachen war das
Griechische. Neben dem Russischen beherrschte er später fast
alle slawischen Sprachen, die er sich als Autodidakt angeeig-
net hatte.
1872 heiratete er die Tochter Pauline des Kommerzienrates
Schreiber in Jessnitz. Sie hatten sechs Töchter und lebten
in Berlin, wo Wilhelm Körner bald eine Professur an der
Königlichen Kriegsakademie bekam und bis zu seinem Tode
im Alter von 75 Jahren unterrichtete und forschte.
Er kam zu höchsten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen
Ehren und hatte Kontakt zu vielen bedeutenden Männern sei-
ner Zeit.
Im Folgenden soll hier sein Bericht über den Besuch im Hause
Schliemann in Athen im Mai 1883 wiedergegeben werden:
„Als ich gegen 6 Uhr wieder an der Pforte des Schliemannschen
Hauses erschien, führte mich der Türhüter, der, wie ich später
erfuhr, den Namen eines Richters der Unterwelt Radamantes
[sic! – gemeint ist Rhadamanthys] trägt, die Marmorstufen
des überaus prächtigen Hauses hinauf in das Studierzimmer
seines Herrn. Wer den Namen des Pförtners schon vorher
gekannt hätte, und mit Vorstellungen vom Hades eingetreten
wäre, wäre durch die im ganzen Hause herrschende Pracht,
den feinsten Geschmack verratende Eleganz, auf das ange-
nehmste enttäuscht worden. Unser berühmter Ehrenbürger
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bat um ein paar Minuten Geduld, um die Arbeit, bei welcher
er begriffen, zu einem gewissen Abschlusse zu bringen und
ließ sich sodann, nachdem er den Zweck meiner Reise erfah-
ren hatte, in eine russisch geführte Unterhaltung ein. Bei die-
ser Sprache, die er auf Grund eines zwölfjährigen [sic! – es
waren nahezu 18 Jahre] Aufenthaltes in Petersburg vollständig
beherrscht, blieben wir auch, solange wir allein waren. Er hat-
te soeben von Virchow dessen neue Schrift über die Osseten
erhalten und dieses Buch, meinte er, hat Virchow noch dazu
in leidendem Zustand geschrieben. Von ihm selbst werde jetzt
in London ein englisch geschriebenes Buch über die Ilias ge-
druckt [gemeint ist Schliemanns Buch „Ilios“, der Verfasser],
gleichzeitig erscheine die ebenfalls von ihm herrührende deut-
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Anm. der Redaktion: Schliemann wurde am 7. Juli 1881 Ehrenbürger von
Berlin.
sche Übersetzung in Leipzig.
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Beide seien in den letzten acht
Monaten entstanden.
Wir stiegen dann auf die Terrasse des Hauses, welche einen
großen Spazierplatz darbietet, von dem man aus Stadt und
Meer und Berg und Tal überschaut. Wie im ganzen Haus an
Wand und Treppe sind auch hier griechische Inschriften ange-
bracht, eine davon lautet: ‚Wie süß ist es, das Meer vom Land
aus zu sehen!‘“
Hier erzählte mir Schliemann, dass er am gestrigen Tage ei-
nem schweren Unglück glücklich entgangen sei. Er sei auf ei-
nem Spazierausritt mit dem Pferd gestürzt und unter dasselbe
zu liegen gekommen, hätte infolgedessen die ganze Nacht in
heftigem Fieber gelegen, von welchem er sich mit Chinin ge-
heilt habe. Er reitet nämlich zweimal täglich, früh um sechs
Uhr im Sommer und Winter ans Meer, um zu baden, und
dann noch einmal in den späten Nachmittagsstunden; sprach-
liche Studien hätte er jetzt beiseite geschoben. Früher hatte er
Arabisch gelernt, zu dem Zweck Mekka zu besuchen, diesen
Gedanken habe er jetzt aufgegeben.
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Anm. der Redaktion: „Ilios“ erschien bereits Ende 1880 in Leipzig.
Geheimrat Professor Dr. phil. Wilhelm Körner (1845-1920)
zu Gast bei Heinrich Schliemann in Athen im Mai 1883
Wilhelm Körner